Adieu les Bleu

Die heutige WM-Runde hat eine ganze Mannschaft zu Losern gemacht - die Grand Nation wird nicht mehr dabei sein.
Es schaute nie so aus, als ob sie wirklich gekämpft hätten. Vielleicht als einzelne, aber nicht gemeinsam und bestimmt nicht gleichzeitig. Sie waren sich auch nicht einig, wer denn nun der Gegner sei: Mexiko, Paraguay, die "Bafana Bafana"? Oder vielleicht doch der Trainer? Vielleicht auch der Mann neben ihnen, der Jabulani oder der Herzog von Wellington ...

Sollten sie also gekämpft haben, so werden wir nie erfahren, gegen wen nun wirklich.
L'Équipe Tricolore war mit einer ganzen Reihe großer Namen aus großen Clubs angereist. Obschon Fußball eine Mannschaftssportart ist, traute man diesen Spielern zu, das jeder für sich nach fulminanten Dribblings einnetzen könnte, dass sich diese ausgebufften Profis blind verstehen, dass sie die Gruppenphase im Vorbeigehen bestehen und ein etwaiges Ausscheiden im Viertelfinale bestenfalls unbootmäßigen Schiedsrichtern geschuldet wäre.
Stattdessen verzettelten sie sich, schossen am Tor, aneinander und manchmal gar am Ball vorbei, machten sich unsinnige Vorschläge, um sich danach gegenseitig zu beschuldigen, nicht gehört zu haben. Dies alles gewürzt und zusammengehalten mit der aggressiven Besserwisserei der dem Untergang geweihten, den arroganten Alleingängen und mittendrin abgebrochenen Kleinrevolutionen der ohnehin schon Gescheiterten.

Der Trainer Raymond Domenech mutierte in den wenigen Tagen der laufenden Weltmeisterschaft vom überheblichen frog zum Großen Schmerzensmann der Fußballwelt. Sein Gesichtsausdruck beim 1:0 der Südafrikaner zeigte weder Zorn, noch Enttäuschung: er war bereits jenseits solcher prophanen Empfindungen. Aus seinen Augen sprach die Weisheit desjenigen, der in das Gesicht des Schicksals mit all seiner wuchtigen Unabdingbarkeit gesehen hat. Er wusste, dass nichts besonderes geschehen war. Es wurde nur sichtbar, was schon längst als Idee hinter den Dingen existiert hatte, der Nadir, dem alles Lebende zustrebt, wenn seine Zeit gekommen ist. Domenechs Zeit kam früher, und Gott gab ihm die Gnade, sie noch bei vollem Bewußtsein in all seiner tiefen Schönheit zu erkennen.

Les Blues haben nichts, aber auch gar nichts ausgelassen.
Die Deutschen hatten ihr schlimmstes Spiel gegen die Serben. Will heißen, sie werden sich mit der teutonischen Brechstange an den Ghanaern für die Demütigung rächen, und das 0:1 gegen die Serben wird nur ein Schnitzer gewesen sein.
Sie werden vielleicht noch lange siegen, aber nie die tiefe Bedeutung der Niederlage erkennen. Das weiß nur Raymond Domenech, und vielleicht noch einige andere französiche Fans, die den Dingen ihren Lauf lassen, wohl wissend, dass der Perlentaucher bis ganz hinab zum Grund tauchen muss - nicht, weil er nicht schwimmen kann, sondern den Grund unter seinen Füssen braucht, um sich abzustoßen und desto schneller wieder an die Oberfläche kommte. An die Luft, an die Sonne, wo vielleicht seine Liebste auf ihn wartet.

Besonders bitter wird es sein, wenn es die italienische Squadra nach einer ebenso unterirdischen Leistung wieder schaffen wird, irgendwie ins Achtelfinale vorzustoßen, um dann am Ende gegen alle Regeln der Fußballkunst im Finale zu stehen - und womöglich sogar an ihrem einzigen glorreichen Tag den Titel gewinnen sollten. Es wäre nicht das erste Mal. Wohin solches Lavieren und hinterhältiges Erzwingen des Glücks führt, mag man am italienischen Ministerpräsidenten erkennen: man entkommt seinem Schicksal nicht, und was die Franzosen mit ihrer Mannschaft erleben, das wird Italien als ganzes durchmachen müssen - und sie sind noch nicht tief genug gesunken, es geht bestimmt noch tiefer.

Wir wollen den Spielern der Grand Nation gratulieren. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Sie haben einen ganzen Kosmos durchschritten - vom glorreichen Erringen des Weltmeistertitels in der Heimat bis zur Niederlage gegen eine südafrikanische Mannschaft, die außer Begeisterung wohl kaum etwas aufzubieten hatte. Sie kennen nun den Glanz des Erfolges, wie die Bitterkeit der vernichtenden Niederlage samt eigenem Verschulden wegen zwecklosen Versuchs, das Unabwendbare abzuwenden.

Im Überblicken des langen Weges, welcher hinter ihnen liegt, wünschen wir ihnen die Leichtigkeit derer, die aller ihrer Lasten ledig sind. Wer des Glücks der Erfolge entsagt, darf auch die Schmerzen des Verlustes ignorieren. Schuld tragen wir ohnehin alle durchs Leben. Die Franzosen tragen nicht weniger als andere. Hätten sie Größe, so formierten sie sich noch einmal hinter ihrem Schmerzensmann Raymond Domenech, und tanzten die Musette zur verstimmten bretonischen Sackpfeife.

Haben sie wahrscheinlich nicht.

Ist aber auch schon egal.


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