Betteln

Am Anfang steht eine Frage, nämlich ob man vielleicht ein paar Euro verschenken könnte. Man denkt kurz nach – meinetwegen auch länger – und gibt, oder eben nicht. Danach geht man weiter. Damit wäre im wesentlichen erklärt, wie man mit Bettlern umgeht.
Natürlich könnte der eine oder andere unserer Zeitgenossen noch eins drauflegen: noch ein paar Euros oder gute Ratschläge; oder man könnte die Anfrage schlicht ignorieren. Oder den Frager zur stets behaupteten Grundlage allen Glücks und Freiheit – also zum Arbeiten – auffordern. Wie auch immer die Antwort ausfällt, der Bettler hat im wesentlichen zu akzeptieren, was er bekommt. Vielleicht knurrt er noch hinterher, wenn er mit der Gabe nicht zufrieden ist.

Das war's dann auch schon.

Würde der Bettler aggressiv, wäre es kein Betteln mehr, sondern ein Raub, oder eine Beleidigung, eine Nötigung – gegen all das gibt es bereits Paragraphen. Weshalb braucht man noch einen besonderen gegen das „Betteln“ oder – um dem eigenen Gewissen das beruhigende Kissen nicht wegziehen zu müssen – gegen „aggressives Betteln“, wo immer nun genau der Unterschied zu den bereits existierenden Rechtsvorschriften besteht, welche allenthalben den Umgang untereinander regeln.

In Wien hat sich jüngst eine für uns bislang ungewöhnliche Form des Bettelns entwickelt, welche die Mariahilfer Straße zuweilen zu einem Gruselkabinett macht. Menschen, offensichtlich aus anderen Ländern – Bulgarien und Rumänien sind da im Gerede – zeigen offen körperliche Deformation zur Schau, welche bislang bei uns nie zu sehen waren. Da gibt es etwa eine Frau, deren Knie nach hinten durchknickt, wie wir es sonst nur bei Vöglen sehen, die auf Leitungsdrähten sitzen. Oder ein Mann mit einem Stumpf, wo eine Fuß gewesen sein muß. In unserem Wohlfahrtsstaat erhält mensch nach solchen Verletzungen eine Attrappe – oder Prothese halt. Es gibt Kinder, die einem den Armstumpf entblößt entgegenhalten. Oder ein Mann, dessen Füße in einer Art Krampf nach vorne ragen, wie die Füße einer Ballerina in angestrengtem Spitzentanz.

Die Menschen sind empört.
Darüber, daß die einfach so dasitzen.
Darüber, daß sie so aufdringlich sind.
Darüber, daß es solche Menschen überhaupt gibt.
Und natürlich auch darüber, daß sich niemand um sie kümmert, wobei viele noch hinzuzufügen geneigt sind, dass die Kompetenz dazu bei der eigenen ethnischen Gruppe liegen müßte, den Bulgaren, Rumänen, Sinti, Roma und dergleichen, welche man nie in die Euopäische Union hätte aufnehmen sollen, jener Union, aus der man ohnehin am besten gleich austreten sollte … aber da kommen wir vom Thema ab.

Ich erinnere mich an eine junge, hübsche Dame, mit Wohnort und Arbeitsplatz in einem der angesagtesten Viertel in Wien, welcher ob des Anblicks ganz elend wurde. Und die laut fragte, warum die Polizei so etwas nicht verbieten könnte. Wobei sie offen ließ, was die Polizei nun genau verbieten sollte, das Betteln, das Am-Gehsteig-Liegen, das Einreisen. Jedenfalls hielt sie spontan die rechsstaatlichen Gewaltmonopolisten für die zuständige Instanz.

Der Anblick bewegt uns. Oder besser: er bewegt etwas in uns, dass wir lieber unbewegt ließen. Es ist schon nicht leicht, Verstümmelungen ohne Verschleierung sehen zu müssen. Menschen jüngerer Jahrgänge sind dergleichen einfach nicht mehr gewohnt (Konsumenten von Splattermovies, sowie Medizinstudenten, lasse ich da mal weg).
Genauso ergeht es uns bei jenen Bettlern in knieender und demütig bittender Haltung. Wenn man da einfach vorbeigeht, fühlt man sich nicht mehr so ganz als guter Mensch. Auch wenn man gibt, hat man hinterher das Gefühl, es war zu wenig, denn man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie die Lage dieses Menschen mit einem oder fünf oder zehn Euro nun besser werden sollte. Man hat also einen monetären Verlust erlitten – einen, fünf oder zehn Euronen – aber nichts gewonnen. Jedenfalls nicht das Gefühl, die Welt verbessert zu haben: am nächsten Tag sitzt, kniet, liegt die Gestalt ja schon wieder mit vorwurfsvoll demütiger Miene an genau der gleichen Stelle. Was hat meine Spende also gebracht? Offensichtlich nichts. Schlimmer noch: immer deutlicher wird, daß der Bettler gar nichts an seiner Lage ändern will. Wahrscheinlich lebt er gar davon – vom Mitleid und der milden Gabe. Vielleicht rechnet er insgeheim, wieviel er pro Stunde für's anschauliche Leiden kriegt, und wieviel für's fremde Toilettenwischen. Denkt er unternehmerisch, bleibt er vielleicht beim Almosenlukrieren. Dem geht es also gar nicht so schlecht, wie er tut. Er tut nur so, damit er nicht arbeiten gehen muß. Und das geht nun schon gar nicht – arbeiten können, aber nicht wollen, nie und nimmer in einer Leistungsgesellschaft. Ich würde auch gerne den lieben langen Tag in der Sonne liegen und warten, daß mir jemand was zusteckt, aber nein, ich quäle mich im Hamsterrad ab, und soll das Sauerverdiente mit einem Faulpelz teilen (das tu ich außerdem ohnehin schon mit meinen Steuern, welche dann in den Taschen der sogenannten Arbeitslosen landen).
Spätestens hier habe ich mich derart in Rage gedacht, daß ich wütend am Bettelnden vorbeistapfe.

Irgendwo ganz hinten quält einen noch das schlechte Gewissen, und das will beruhigt werden. Und zwar folgendermaßen: die Bettler sind eigentlich organisiert – so wie die Mafia. Sie verstümmeln absichtlich ihre Kinder, damit sie mehr Erfolg beim Bettlen haben. Und sie wollen ihre Lage gar nicht ändern – blöd wären sie, wo man doch erwiesenermaßen beim Betteln sich eine goldene Nase verdienen kann.
So, jetzt hat man also begründet, weshalb man am meisten gibt, wenn man gar nichts gibt.
Und schlauer als die naiven Gutmenschen ist man obendrein noch.

Aber auch das genügt offenbar nicht. Die Bettler liegen auf ihrem Platz am Gehsteig mit der Nachhaltigkeit eines unverrückbaren Denkmals, Hrdlickas straßenwaschendem Juden vergleichbar, den man irgendwann mal in Stacheldraht legte, um ihn vor unsensiblen Touristen zu schützen – man bedenke die Ironie: Stacheldraht, um gequälte Juden zu schützen – das könnte von den Nazis selber stammen, hätten sie die Endlösung mit moderner PR begleitet. Aber das ist auch wieder eine andere Geschichte.

Zwar liegt der Bettler immer noch tatenlos am Gehsteig – was will er auch sonst tun, ohne Bein und ohne Beinprothese – aber man hat ihn bereits mit der Mafia, mit den Kinderquälern und mit den Dieben am Volkseigentum identifiziert. Für Arme, Behinderte, Geschundene, Obdachlose gibt es die Wohlfahrt, aber für die Mafia, die Kinderschänder und die Diebe gibt es die Polizei.
Das Sozialministerium arbeitet mit Konzepten, Vereinen, Projekten. Die Polizei hingegen mit Gesetzen. Und Verboten.
Und mit Gewaltmaßnahmen.

So kommt es dann zur nächsten absurden Situation: Bettler werden abgemahnt und mit einer Verwaltungsstrafe belegt. Daß ein Bettler, insbesondere ein „gewerbsmäßiger“ damit wohl gezwungen ist, weiterzubetteln, ist eine besondere Finte: man provoziert, was man eigentlich vermeiden wollte.

Nun, wenn man die Hintergründe beleuchtet, ist es nicht mehr so widersinnig. Man wollte eigentlich nie ein gesellschaftliches Problem lösen, man wollte eigentlich nur sein schlechtes Gewissen los werden. Vielleicht nicht einmal das: man will sich eine Illusion bewahren, nämlich jene vom guten Menschen, der alles liegen und stehen läßt, wenn er ein Unglück sieht, und hilft. Betteln und Behindertsein wird von uns Bürgerlichen natürlich als ewiges Unheil gesehen. Nicht vorstellbar, daß man so einen Lebensweg freiwillig wählt oder sich unter dem Druck der Umstände einfach damit abfindet. Betteln ist nicht vorgesehen. Bei aller Freiheit – soweit wollen wir sie nicht gehen lassen.

Hinter dem Verbot des Bettelns steht auch das Verbot eines freien Lebensentwurfes. Natürlich ist nicht jeder Bettler freiwillig ein solcher. Man kann und soll ihm alternative Angebote machen. Wie übrigens jedem Menschen – man kann nie genug Alternativen haben.
Aber eine bloße Negation des Bestehenden bringt dem Bettler vorderhand gar nichts. Es kriminalisiert sein Gewerbe. Und wir sollten uns bewußt sein, dass das Betteln wohl, so wie die Prostitution, zu den ältesten Erwerbszweigen dieser Welt gehört. Bereits in der Bibel gibt es sie.

Immerhin: im Unterschied zu den Dieben, fragen Bettler vorher, und respektieren das Nein. Wir sollten deswegen umgekehrt ihre Frage respektieren und sie nicht einfach verbieten, nur weil wir auf Anhieb nicht die richtige Antwort wissen.

essay
Fussball
Gesellschaft
Nachtbuch
Österreich
Politik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren