Die 80iger kommen - wollen wir das wirklich?

Arte meldet es. Die Zeit schreibt es. Und irgendwann wird es auch im Falter stehen: die 80er kommen. Paradox genug – eigentlich sind sie vor knapp zwanzig Jahren gegangen. Nicht wenige hofften, für immer.
Man hätte es besser wissen müssen. Gerade als Kind der 80iger.

Damals wurde das Revival ja eigentlich so richtig erfunden. Nicht, dass auch früheren Epochen der maniristische Rückgriff auf Vergangenes nicht geläufig gewesen wäre – die Wiener Votivkirche zeugt noch heute davon.
In den 80ern konnten wir aber erstmals erleben, wie ganze Jahrzehnte im Jahrestakt recyclet wurden: die 20er, die 30er, die 40er – spätestens dann wußte jede Friseuse aus Favoriten zum nächsten Jahreswechsel prophetisch das darauffolgende Jahrzehnt als dernière crie zu verkünden (Adam Riese läßt grüßen – und Entschuldigung bei den Friseusen aus dem Zehnten Hieb).

Dieser jahreszyklische Jahrzehnterückblick hat uns so Sachen wie Nena und Markus, Matt Bianco und Wham (ja richtig: der frühe George Michael) als Vertreter des damals sogenannten „New Jazz“ oder so lustige Sachen, wie Sakkos mit aufgekrempelten Ärmeln, oder Bundfaltenhosen beschert. Sogar Michael Jacksons weiße Socken am Tanzbein hatten in Gene Kelly einen Vorläufer aus der Ära des Tanzfilms der 50er. Folgerichtig erhielt letzterer gleich zu Beginn des Jahrezehnts nochmals eine symbolträchtige Rolle in „Xanadu“ (das wird uns dieses Revival hoffentlich ersparen).
Es wurde also getanzt und gefeiert. In den Siebzigern hatte man sich mit kopflastigen und unergiebigen Diskussionen so ziemlich den Spaß am Leben verbaut. In den Achtzigern begannen nun weite Teile der Bevölkerung wieder zurückzurudern. Insbesondere die Feministinnen mußten fassunglos zur Kenntnis nehmen, dass die Palmersplakate nicht nur nicht abgelehnt, sondern von den Leuten als Rückkehr des „Weiblichen“ abgefeiert wurden.

Depression – einer der Schlüsselbegriffe dieser Zeit. Maggie Thatcher rang den bis dahin als unbesiegbar geltenden, charismatischen Gewerkschaftsführer Arthur Cargill nieder – wofür ihr Tony Blair in den Neunzigern heimlich ein paar Kerzen angezündet haben soll. In Amerika verwischte der B-Movie-Darsteller Ronald Reagan die mühsam aufrechtgehaltene Grenze zwischen Show und Politik. Der war übrigens auch zuerst mal Governour of California. Mit diesen beiden begann eine Ära, welche vielleicht erst mit mit der jüngsten Finanzkrise ihr unrühmliches Ende gefunden hat.
Die 80er konnten sich nur schwer mit was Neuem hervortun. Die Siebziger hatten uns gründlich die Lust an der Revolte verbaut – die Frauen blieben alleine mit ihren Kindern zurück, nachdem ihre Partner das Scheitern des Experiments verkündet und mangels Alternativen mit dem „Marsch durch die Institutionen“ begonnen hatten, und die Männer wußten auch nicht mehr so recht wohin, nachdem die Frauen deutlich machten, dass der Softie zwar gut kochte, aber dafür in anderer Hinsicht zu wünschen übrig ließ.

Die Achtziger waren sowas wie eine Reflexionsphase. Die Revolution hatte sich verflüchtigt. Die zehn Jahre zuvor noch glorreiche Zukunft erwies sich als nicht erfüllbares Versprechen. Also holte man sich nochmal die alten Klamotten aus dem Schrank und probierte sie Stück für Stück durch. Die Mädels bekamen von Palmers frische Spitzenunterwäsche, während die Jungs es wieder mit dem guten Anzug versuchten. Selbst am alten Schlager arbeitete man sich nochmal ab. Angefangen hat das eigentlich mit New Wave – düster, erratisch, unnahbar, geheimnisvoll. „Kraftwerk“ war damals eine große Nummer, und die brachten das ganze in Deutscher Sprache („Sie ist ein Model und sie sieht gut aus ...“). Die vier Jungs vom Energiezentrum dachten wohl nicht, was sie damit auslösten: plötzlich waren für Pop keine Fremdsprachenkenntnisse mehr nötig – richtiges Gitarrespielen war ohnehin schon immer optional. Die ersten Protagonisten versuchten noch was sinnvolles hörbar zu machen, gerieten aber viel zu schnell ins schwermütige Fahrwasser uncooler Protestsänger und Weltverbesserer, die niemand mehr hören wollte. Kurze Zeit übersteigerte man ins Absurde („Du, du, du kleiner Spion, du“). Die konsumrelevante Masse aber blieb schließlich an den Schenkelklopfern hängen („I Woat auf a Taxi, oba es kummt net“ - die dabei genuschelte Hans-Moser-Parodie bereitete schon das Unvermeidliche vor). Von dort war der Weg nicht mehr weit bis zur Wiederentdeckung des Wirtschaftswundersoundtracks samt unsäglicher Verfilmungen. Was fünfzehn Jahre vorher „Conny und Peter machen Musik“ hieß, lief nun mit verändertere Haarfarbe unter „Gib Gas, ich will Spaß“. Gerade letzteres geriet angesichts der offen ausgesprochenen Ablehnung alles Politischen als Reaktion auf die totale Politisierung der Siebziger zum Politikum schlechthin. Unter dem Lichte des Geschehenen können war heute sagen, dass diese Aussage von unerhörter politischer Brisanz war, hat sich doch erstmals das grundsätzliche Mißtrauen gegenüber der modernen Demokratiepolitik artikuliert, eine Tendenz, welche uns schließlich über die Rechtsdemagogie der Neunziger zum gegenwärtigen Politdadaismus führte.

Manche Schlachten der vorangegangenen Jahrzehnte wurde unter nur leicht veränderten Vorzeichen weitergefochten: „Madonna vs. Cindy Lauper“ oder „Michael Jackson vs. Prince“ war bereits ein Revival das alten „Beatles vs. Stones“. Hundert Jahre zuvor wurde in Wien mal ein „Johannes Brahms vs. Josef Bruckner“ ausgetragen – okay, das sind jetzt wohl zu viele Geigen für Poptheorie.
Allen gemeinsam ist die Basisstruktur der Auseinandersetzung: das angenehme wurde seines Schönklanges wegen gegen das häßliche gesetzt, das wiederum mit Relevanz brillieren konnte, welch letzteres schließlich von den Schönklanganhängern permanent entwertet werden mußte, um sich selbst nicht der Oberflächlichkeit zu zeihen. Umgekehrt verlief der Mechanismus analog.

Die Siebziger hatten uns die Freiheit und den Genuß versprochen. Die 80er boten uns dann Arbeitslosigkeit und Aids. Viele der späteren Hinwendungen zum kruden Neokonservativismus lassen sich vielleicht mit dieser Zurückweisung der erhofften elterlichen Verheißung erklären. Die Hippies hatten uns einfach allen Optimismus weggekifft, fortgevögelt und aufgesoffen. Übrig blieb die schlechte Laune, die wir derzeit gerade mit ausufernden Rauch-, Fett- , Sauf-, Sex- und was-weiß-ich-was-sonst-noch-Verboten krönen. Viele, die in den 80ern Jugendliche sein mußten, waren mit Elternbildern konfrontiert, die links kaum mehr Platz zum Überholen ließen. Dafür blieb die rechte Spur frei, welche seit Mitte der 80erjahre neu vermessen wird.
Es gab Popper, Mods, Punks und noch ein paar Restrocker. Die Punks sind vielleicht die einzigen unter diesen, welche originäres Material hervorbrachten, allerdings nur unter Verweigerung, was immer sich als verweigerbar herausstellte (auch wenn es vordergründig weithergeholt scheint: hier drängt sich die Analogie zu Arnold Schönberg auf).
Alle anderen lebten vom Abkupfern und Neubewerten, wobei die Kopien allesamt exorbitant schlecht waren. Und gerade aus diesem jämmerlichen Scheitern, aus diesem erfolglosen Versuch, dem unwiederbringlich verflossenen Authentizität abzuringen, in diesem Auf-halber-Strecke-hängenbleiben liegt das Unverwechselbare der 80er. Niemand würde jemals die echten 30er mit der zahnlosen Kopie der 80er verwechseln. Dazu sind die Insignien des Manirierten einfach zu eindeutig. Es ist keineswegs das erste Mal in der Geschichte, dass das Scheitern an der Kopie unabsichtlich zu etwas neuem führte. Die 80er hingegen machten genau das zu ihrem Markenzeichen. Sie ließen noch einmal beinahe das gesamte Jahrhundert im Schnelldurchlauf Revue passieren, perlustrierten ein letztes Mal Dekade um Dekade, blickten in jede Bundfalte, wühlten unter den Nierentischen oder versuchten es mit Swing und Petticoats. Und während wir westlich der Mauer Relevanz im Vergangen suchten, begannen die Kids der Bronx bereits zu anderen Klängen zu tanzen, da rumorte es bereits im Osten. Der Rest gehört zu den Neunzigern. Ja, auch 1989 gehörte bereits dazu. Die 80er sind in diesem Sinne auch ein verkürztes Jahrzehnt.

So. Und wessen soll man da nun gedenken? Jede Generation hat ihren Soundtrack: die Amis zogen zu Glenn Miller aus, um Europa zu befreien, und sie verloren in Vietnam zu den „Beach Boys“. Man verbarikadierte sich an der Sorbonne zu „Michelle“, und scheiterte in zu Konstantin Weckers „Willi“.
Tja, und in diesem Sinne träumten wir zu „Du entschuldige, i kenn di“ vom ersten Kuß, wir trennten uns zu „99 Luftballons“, wir betranken uns zu „Da, da, da“. Unsere Idole wurden in der „Blauen Lagune“ an Land geschwemmt, oder lernten das wahre Leben als „Kinder vom Bahnhof Zoo“ kennen. So was sitzt unweigerlich tief. Dazu bedürften wir keines Revivals der Revivals. Aber vielleicht braucht eine Generation hin und wieder eine Katharsis. Vielleicht müssen wir an der Schwelle zum nächsten Abschnitt zuvor ein passendes Trauerritual absolvieren.
Und ein solches mag beginnen mit der Wehmut über die Jugend, welche zurückgelassen werden muß.

Und in der Erkenntnis enden, zu welchen Peinlichkeiten man damals fähig war.

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