Fristenlösung - damit man's hat, wenn man's braucht

Wieder gibt es Diskussionen zum Schwangerschaftsabbruch. Die gibt es ja schon seit Einführung des § 97 StGB in den Siebzigerjahren.

Man hat sich damals nach langen Diskussionen nicht dazu durchringen können, diese Frage den Frauen und den Ärzten zu überlassen. Zuviele Stimmen sprachen dagegen. Weil aber auch bekannt war, daß man nahezu ein Viertel aller Frauen hätte einsperren müssen - Abtreibung war eben sehr weit verbreitet - schuf man mit dem § 97 ein juristisches Schlupfloch.

Immerhin: man war sich einig, daß man keine Frauen mehr einsperren wollte. Ärzte sollten die Abbrüche durchführen, und keine "Autodidakten" mehr.
Seither will die Diskussion nicht verstummen. In jeder Legislaturperiode wird mindestens einmal darüber diskutiert. Das Muster ist immer recht ähnlich: irgendwer von der politisch rechte Seite denkt laut darüber nach, daß zu viele Embryos abgetrieben werden. Mit eherner Gesetzmäßigkeit reagiert irgendwer mit dem Vorwurf, es ginge wieder mal jemandem um die Wiedereinführung des Abtreibungsverbotes.

Konsens gibt es dahingehend, daß man tunlichst nicht abtreiben sollte. Im § 96 StGB wird Abtreibung auch tatsächlich verboten - aufgeweicht durch den § 97, wonach es nach ärztliches Beratung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen nicht bestraft wird.

Insgesamt eine recht unklare Handhabe, die so nicht sein müßte. Kanada etwa hat den Passus zum Abtreibungsverbot gänzlich aus dem Gesetzbuch gestrichen. Es ist dort eine Sache, in die sich der Staat nicht mehr einmischt. Damit ist noch nicht gesagt, daß es erwünscht ist oder nicht, oder wer es nun bezahlen soll, oder unter welchen Umständen es nun doch nicht verwerflich ist. Der Staat überläßt es sozusagen der Zivilgesellschaft selbst, diese Diskussion zu führen. Und am Ende jeder einzelnen Person, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Die Letztentscheidung bleibt wohl bei den Müttern.

Hinter den Pros und Contras aller anderen Nationen verbergen sich starke ideologische Vorgaben. Das ist wohl der Grund, weshalb man zu keiner gesellschaftlichen Übereinstimmung kommt. Die Fronten laufen etwa so: links der politischen Mitte soll der Schwangerschaftsabbruch erlaubt sein, von rechts aus betrachtet, sollte jede Schwangere gebären. Mal werden die Menschenrechte bemüht, mal die demoskopische Entwicklung. Es fehlt auch nicht an sentimentalen Argumenten, etwa jene, wonach ein Embryo Todesangst empfindet, wie von der anderen Seite die vielen Geschichten über Frauen, welche illegale Abtreibungen nicht überlebten.

Eine "sachliche" Diskussion scheitert schließlich am Mangel an Fakten. Wann beginnt das Leben? Wann greifen also die Menschenrechte? Die politische Rechte kann hier nur mit Mutmaßungen argumentieren. Die Linke tut sich leichter: ihre Hauptzeugen sind betroffene Frauen, die das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper einfordern.
In der klassischen Rechtsdiskussion geht es schließlich um die individuelle Position der Betroffenen - aber wer sind die Betroffenen? Gehört der Embryo dazu? Pro-Life sagt "Ja", muß aber den Beweis schuldig bleiben und sich mit Indizien begnügen. Pro-Choice meint "Nein", muß aber mit dem unguten Gefühl leben, daß man daraus, daß noch kein Embryo protestiert hat, kaum auf seine Zustimmung schließen kann.

In Ermangelung dieser wichtigen Fakten ist es nicht verwunderlich, wenn dieser Diskurs weitgehend ideologisch ausgetragen wird. Ideologie bedeutet hier, daß man eine grundsätzliche Weltsicht ins Treffen führt, welche kaum durch Faktenaufzählerei beeinträchtigt wird. Schließlich finden sich Wissenschaftler aller Fakultäten in beiden Lagern (nicht ohne sich gegenseitig mangelnder Wissenschaftlichkeit zu zeihen). Die Verteilung der politischen und religiösen Lager zeigt allerdings eine gewisse Regelmäßigkeit.
Pro-Choice sind Linke, Sozialisten, Kommunisten, Liberale, Basischristen, feministische Vereine, Demokraten, Gruppierungen, welche sich als fortschrittlich sehen und viel auf Menschenrechte und Individuelle Freiheit geben.
Auf der Pro-Life-Seite finden sich Rechte, Konservative, Religiöse, Familienverbände, Nationalisten, Faschisten, politische Ausrichtungen, welche sich eher an überkommenen Werten orientieren und das Kollektiv gerne über das Individuum stellen.

Stark wird auch mit Unterstellungen gearbeitet: die Linke wirft Pro-Life vor, aus Frauen wieder die unterprivilegierte Hälfte der Kleinfamilie zu machen. Umgekehrt lautet der Vorwurf, man wolle schließlich aus purer Genußsucht oder Gleichgültigkeit anderen Menschen das Lebensrecht vorenthalten. Beiden Seiten fällt es auch hier nicht schwer, auf überzeugende Beispiele für ihre Vorwürfe zuverweisen.

An der Abtreibungsfrage können altbekannte Fronten neu gezogen und gestärkt werden. In solcher Parteinahme vergewissert man sich erneut seiner Zugehörigkeit und seines politischen Bekenntnisses. Um eines klar zu stellen: hier geht es nicht um individuelle Entscheidungen - rechts der Mitte wird genauso abgetrieben, wie links. Und es gibt sonder Zahl Frauen, die sich politisch links verorten und entgegen aller Umstände sich zur Mutterschaft entschließen. Im Alltag wird häufig überhaupt nicht entlang ideologischer Linien entschieden, sondern unter dem Druck der Umstände. Die Auseinandersetzung findet im gesellschaftlich-politischen Diskurs statt.

Und dort geht es um Machtfragen. Ich denke, daß der Grund für das regelmäßige Aufflammen dieser Diskussion vor allem in Machtspielen zu finden ist. Die Kirche - um einmal beim aktuellen Beispiel zu bleiben - will wissen, wieviel sie noch zu sagen hat - oder es halt die anderen gesellschaftlichen Kräfte wissen lassen. Frauenverbände hingegen mit ihren komplett anderen Gesellschaftsentwürfen haben mittlerweile ebenfalls ihre Machtbasen und müssen bei solchen Diskussionen Flagge zeigen. Die gegenseitigen Unterstellungen gehören bereits zur Strategie solcher Auseinandersetzungen.

Und die Bevölkerung? Durch ihren Applaus für die eine oder andere Seite werden Gewichte gesetzt, welche für die kommenden politischen Auseinandersetzungen wichtig werden können.

Was aber die Fristenlösung anbelangt, die will bestimmt niemand mehr antasten. § 96 sagt ohnehin, daß Abtreibung verboten ist, wie wir ja alle meinen, daß es nicht besonders schön ist, sowas zu tun.
Daneben bietet § 97 an, die Notbremse zu ziehen, wenn das Leben nicht die geplante Richtung nimmt - dann aber ganz abseits aller Ideologie: damit man's hat, wenn man's braucht.

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