Über die Vergeblichkeit der Hoffnung - Für Yuichi Komano

Wir wollen heute nicht auf Yuichi Komano vergessen: er verschoss seinen Elfmeter beim Viertelfinalspiel Japans gegen Paraguay, was letzteren zu einem unspektakulären Aufstieg verhalf. Vieleicht muss Yuichi Komano nun seinem Trainer den Freitod anbieten, worauf dieser Milde walten lassen und sich mit einem abgeschnittenen kleinen Finger begnügen kann.

Eher aber saß er nach dem Spiel in seiner Kabine, sagte wenig und trank viel Sake. Diesen 29. Juni wird auf ewig in seinem Gedächtnis haften bleiben. Wird er seinen Enkeln davon erzählen? Oder werden diese die Oma fragen, weshalb Opa sich an jedem 29. Juni zur Besinnungslosigkeit trinkt?
Ich stelle mir vor, dass er anfangs gegen das Vergessen trinkt, dass ihn aber die Trunkenheit weiter und weiter in das Land des Elends führt, bis er das Leid der Welt zu begreifen vermag und erkennt, dass jeder von uns schon etliche Elfer verschossen hat, dass die verschossenen wohl in der Überzahl sind, dass die Geschichte der Menschheit im Grunde eine Geschichte der weit abgeschlagenen Penalties ist.
Und möge er irgendwann in dieser Erkenntnis seinen Frieden finden.

Und wäre wirklich alle Hoffnung vergebens, viele Entscheidungen wären vergleichsweise leicht zu fällen.

Die rationale Vernunft ist ja ein vorlautes Plappermaul und hat zu diesem und jenem und praktisch allem was zu sagen. Die Hoffnung ist hier wesentlich wortkarger: sie hofft einfach. Was sollte sie auch anderes sagen, als sich auf die paar wenige Prozentpunkte zu beschränken, welche ihr die Wahrscheinlichkeit noch über lässt.

Nichts desto trotz ist ihr Schweigen nachhaltiger, als die Überzeugungsarbeit der Vernunft. Fast immer kann sie sich auf die Erfahrung berufen. Jeder hat irgendwann einmal erlebt, dass sich die Hoffnung wider vernünftiges Erwarten erfüllt hat. Wobei die "vernünftige Erwartung" zumeist falsch war, weil sie sich auf zuwenig oder die falschen Informationen stützte. Genau dieser Mangel, an dem die Vernunft stets leidet, nämlich dass sie blind ist und auf die lückenhafte Erfahrung oder die unzuverlässigen Sinneswahrnehmungen angewiesen ist, dieser Mangel ist das schlagende Argument der Hoffnung.
Irgendetwas hat man immer übersehen.
Dass die Hoffnung selbst praktisch gar nichts vorzuweisen hat, außer einer Sehnsucht, von der wir weder wissen, woher sie kommt, noch ob sie legitim ist, davon redet niemand - außer der plappernden Vernunft, der niemand zuhört, an die Wand geschwiegen von der Hoffnung.

Obwohl die Hoffnung das Penaltyschießen gegen die Vernuft meistens verliert, stellt sie sich mit aller Chuzpe immer wieder ein. Wie ein Vagabund schneit sie herein, ist stets willkommen, vergessen die früheren Versprechen, welche nie hielten, hereingebeten und bewirtet, wie ein altkluger Wanderprediger mit abgetragenem Anzug, wirrem Bart und der Selbstverständlichkeit jener, die sich und ihre Ansichten nie in frage stellen, weil sie das schlicht nicht können.

Die Hoffnung ist auch schon als Fee erschienen, welche drei Wünsche freigab, von denen sich keiner erfüllte. Oder als sanftmütiges, todessehnsüchtiges Mädchen, der man alles glaubt, weil man denkt, dass Menschen, welche nahe dem Tod wandeln, mehr wüßten als andere.
Tun sie nicht.

Die Hoffnung ist ein Gefühl an sich, dass sich aus dem Wunsch und der darauf stehenden Phantasie nährt. Manchmal gibt es auch eine Erinnerung an gute Zeiten.
Die Patin für all das ist in unseren Breiten Weihnachten. Das Kind wünscht sich was beim Christkind - nebenbei erzählt es den Eltern - und, siehe da, das Christkind erfüllt die Wünsche. Von da an ist ein Modell geschaffen worden, von dem wir uns alle nähren. Es ist tief in unsere Strukturen gesunken, so tief, dass sich selbst auch Ungläubige im Dezember irgendwie um dieses Weihnachtsfest und dem damit einhergehenden Wahnsinn kümmern müssen. Dagegen hilft nichts, nicht mal Ironie. Zu Weihnachten feiern wir alle zusammen das große Versprechen, dass Hoffnung nicht umsonst ist.
Stimmt leider nicht.

Weshalb gibt es die Hoffnung, wenn ihre Versprechen doch meistens unerfüllt bleiben? Weshalb lassen wir uns dermaßen willig mit Blindheit schlagen, nur um nicht zu sehen, dass ihre Prophezeihungen meistens daneben liegen?

Weil sie auf tiefen und unausrottbarten Wünschen basiert.

Vielleicht sind es Wünsche, die wir nicht gerne zugeben. Welche, die uns vielleicht zu peinlich sind, als dass wir darüber reden könnten. Vielleicht haben wir den Wünschen selbst schon mal abgeschworen.
Nichts desto trotz werden wir sie nicht los, selbst wenn wir ihnen sowohl Bedeutung, wie auch Legitimität längst aberkannt haben.
Diese Wünsche sind stärker als wir, oder genauer: unser Bewußtsein. Mit Einsicht oder einem logischen Schluss kann man sie nicht widerlegen. Diesbezügliche Erkenntnis mag uns bestenfalls dazu führen, dass wir eine Hoffnung verlieren, aber nie den Wunsch, der sich in neuem, sehnsuchtsvollem Gewand irgendwo wieder in unser Leben schleicht.
Wir können es also genau so gut bei der Hoffnung belassen, die uns im Moment bewegt. Sie ist so gut oder so schlecht, wie jede andere Hoffnung - oder die Angst, ihre dunkle Zwillingsschwester.

So will ich also bei meinen kleinen, dummen Hoffnungen bleiben, auch wenn ich bereits weiß, dass es nicht weit mit ihnen her ist. Ich will mich mit meinen dummen Wünschen arrangieren, wenn auch unter Protest, weil ich doch nichts gegen sie tun kann. Aber ernst nehmen werde ich sie nicht. Vielleicht werde ich irgendwann über sie lachen können.
Andere und größer Kaliber als der Schreiber dieser Zeilen, können ihnen nachjagen, und wenn sie erfolgreich sind, werden sie auf diese Art sehen, dass ihnen am Ende alles Erreichte durch die Finger rieselt. Alleine die Bösartigen bleiben bei ihrenWünschen hängen: sie glauben immer noch, dass das Christkind sie absichtlich benachteiligt und neiden den Erfolgreichen ihren Glamour.
Vielleicht ist das die Wurzel allen Übels, nämlich der Glaube, dass irgendwo eine finstere, hinterhältige und gemeine Instanz ihnen die Erfüllung vorenthält. Niemand aber hinterfragt den Wert der dummen Wünsche und unsinnigen Hoffnungen.

Wenn ich all das wegwische, alle Wünsche und Hoffnungen, damit auch alle Ängste und Ressentiments, was bleibt dann?

Die Hoffnung, dass es jenseits aller Illusionen doch nocht etwas interessantes gibt.
Damit habe ich für das kleine, dumme, unausrottbare, hinterhältige, sehnsüchtige Gefühl doch noch eine passende Beschäftigung gefunden.

When the train rolled out the station
I saw two lights on behind
Well, the blue one was my blues
The red one was my mind
All my love in vain



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