Verbote

Aufgefallen ist es mir vor einigen Jahren, und damals war ich eher belustigt, als beunruhigt, und reihte es in die Kategorie „nicht unsympathische Skurrilitäten“ ein.
Ich spreche von der Hundstrümmerl-Petition. Eine besorgte Hausfrau und Mutter hatte – und sie war vorderhand nicht die einzige – die Hundstrümmerln auf Wiens Gehsteigen und Parks dermaßen satt, daß sie eine Petition dagegen startete. Der Erfolg war durchschlagend: 157.631 Menschen unterschrieben die Forderung an die Stadt Wien, man möge etwas gegen die Gesundheitsgefährdung unternehmen.

Hätte man einfach gesagt, die hündischen Zurücklassungen sind grauslich, eklig und stinkig, und daß das ganze einfach nervt, sie hätten sofort meine Unterschrift gehabt. Etwas hielt mich davon ab: es war von „Gesundheitsgefährdung“ die Rede. Die Argumente waren durchaus einleuchtend: wo Unrat ist, gedeiht Ungeziefer und anderes Krabbelvieh, und wir wissen alle, daß deren physische Beschaffenheit auf beide Enden der Nahrungskette durchschlagen kann.
Mit Schauder assoziieren wir die Beulenpest mit der Ratte, Malaria mit der Anophelesmücke und Trichinose mit den wortstammverwandten Trichinen. Das Hundstrümmerl war somit eindeutig als Aufmarschzone der menschheitsgefährdensten Parasiten identifiziert.
Einen Haken hatte die Sache: dieser Aufmarsch fand wohl schon seit geraumer Zeit statt – und immer noch standen wir aufrecht.

Das Ganze wurde also unter der Rubrik „Narretei“, Subkategorie „Panikmache“ eingeräumt und vergessen. Was ich damals nicht ahnte: es war erst der Anfang – die Folgen dessen, was sich damals andeutete, sind momentan nur allzu sichtbar.

Was in Wien als Farce durchgegehen hätte können, wurde jenseits des Großen Teichs zum Ernstfall: zuerst führten die Fluglinien Rauchverbote ein, nach und nach der Rest der amerikanischen Gesellschaft. Bushs „Pudel“ zog nach, und was bis dahin für unmöglich gehalten wurde, geschah: Frankreich und Italien setzten es ebenfalls um. Lang und fruchtlos sind die Diskussionen, ob die Verbote nun wirklich exekutiert werden oder nicht – jeder weiß von einem Abend in einer abgelegenen irischen/französischen/italienischen Kneipe zu berichten, wo der Wirt mit Selbstverständlichkeit auf das Rauchverbot bestand, resp. nicht bestand.
Große Demonstrationen gab es jedenfalls keine. Die Verbote werden als solche nicht mehr hinterfragt.

Parallel dazu gibt es Diskussionen über Alkoholverbote, nachdem man Jugendliche beim vorsätzlichen Alkoholmißbrauch mit anschließendem Krankenhausaufenthalt ertappte. Hinweise, daß solches doch keineswegs neu sei, gingen unter den zahlreichen und statistisch belegbaren Hinweisen auf allerlei Allgemeingefährdungen unter.
Dann gibt es seit einigen Jahren die Diskussion um Fett und Zucker in der Nahrung. Die Befürworter von radikalen Verboten werden sich demnächst durchsetzen.
Ein Amoklauf führt zum Waffenverbot, ein Verkehrsunfall zu Geschwindigkeitsbeschränkungen. In England fordern gewisse Kreise bereits, daß den Eltern übergewichtiger Kinder das Erziehungsrecht teilweise entzogen werden soll.

Ein schwarzes Schaf führt zur engeren Umzäunung der gesamten Herde – ein zweites zur nachträglichen Bestätigung, man habe richtig gehandelt, ein drittes zur Überlegung, wo man noch verschärfen könnte.

Das Paradoxe daran: es sind die Schafe, die fordern.

Was ist geschehen?
Verschwörungstheorien lehne ich grundsätzlich ab. Es gab nur wenige erfolgreiche. In diesem Fall kann ich keine sehen. Die Ärztekammer fiele mir als einzige als Profiteure ein; eigentlich nicht mal die: weniger Kranke sind weniger Behandlungen ist weniger Honorar.
Nein, von den Verboten profitiert keiner der großen Multis – aber einige werden Einbußen verdauen müssen. Woher kommt also die seltsame Lust am Verbot, an der Forderung an die Mächtigen, sie mögen uns doch dies und jenes kollektiv verbieten? An der Sterblichkeit des Menschen kann ohnehin nicht gerüttelt werden

Ich sehe in der allgemeinen Verbotsbewegung tatsächlich eine von unten, eine Zusammenrottung besorgter Bürger – insbesondere besorgter Mütter. Schließlich stammt von denen das totale Killerargument angesichts verstocktester Hedonisten: „ … aber wir müssen unsere Kinder schützen …“. Vor Nikotin, Alkohol, Drogen, frühem Sex, Fett, Zucker. Und Hundstrümmerln natürlich.

Hinter den Verboten steckt meiner Meinung nach der Entwurf für eine bessere Welt, wie der Bourgeois sie sieht. Nachdem die Kommunisten ihre Revolution gründlich vergeigt haben, will er Flagge zeigen. Schließlich hat die bürgerliche Ideologie schon seit Martin Luther einen asketischen Kern. Im Verzicht sollen wesentliche Energien frei werden, welche in anderes, höherwertiges investiert werden können. Arbeiten zum Beispiel, Familie gründen, in Lebensversicherungen einzahlen. Das Verbot von oben soll es dem einzelnen erleichtern, Macht über seine genußsüchtige Seite zu erlangen – wir sind also wieder bei der alten Moral; nur daß diesmal nicht mit päpstlichen Bullen, sondern mit wissenschaftlichen Studien über Gesundheitsrisiken argumentiert wird. Fast wird man in der Aufzählung dessen, was sich in so einer Nikotinschwade oder auf einem Hundstrümmerl alles findet, an die scholastische Diskussion, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden, erinnert.

Schließlich geht es auch um Distinktion von den unteren gesellschaftlichen Schichten, um die „feinenen Unterschiede“ gegenüber den Proleten, die immer noch saufen, rauchen, fett essen und ihre Kinder vernachlässigen. Nach der Bildungsoffensive der 70er und der Diskussion um die Gesamtschule, nachdem diverse Anstrengungen zum Klassenerhalt mittels Studium in der Generation Praktikum stecken blieben, bleibt der Mittelschicht kaum noch was, um die nachdrängende Arbeiterklasse auf Distanz zu halten.

Mit Ausbruch der Finanzkrise hat diese Ideologie allerdings einen beträchtlichen Dämpfer bekommen. Das Rolemodel, der fitte, gesunde, ausdauernde und erfolgreiche Manager, hat den Karren des Steuereintreibers an die Wand gefahren, und vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn beim Brandtweiner sitzen, beim billigen Schnaps, während er sich eine nach der anderen anzündet. Alt werden ist nicht mehr spannend, nachdem die Altersvorsorge ohnehin verzockt ist.
Dann lieber früher sterben. Und vorher noch kräftig einen drauf machen.

Und während nunmehr auch in den Vorstädten diskutiert wird, ob nicht doch besser aufs Rauchen zugunsten eines somit gewonnenen Lebensjahrzehnts verzichtet werden sollte, wird in der Avantgarde bereits nach Alternativen zum optimistischen, gsunden, egomanen Selbstverkäufer gesucht – die uncoolen Prolos werden schon wieder zu spät kommen.

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