Vom Wesen der Gespenster
Jede Nacht hält sich für die Nacht der Nächte. Als gäbe es nur eine Nacht und nicht derer unzählige. Alles, ausnahmslos alles, drängt sich in diese eine Finsternis, anstatt sich wie zivilisierte Schulkinder in eine Reihe zu stellen, sich an den Händen zu halten und geduldig zu warten, bis die Schulglocke das erste Mal läutet und das Zeichen gibt, nun das Gebäude zu betreten. Wie einfach sind Kinder, solange sie noch solche sind. Dämonen sind in ihren Ansprüchen, die keine Geduld des Aufschubs kennen, Kindern schon sehr vergleichbar. Aber ihre narzisstischen Kränkungen entladen sich nicht in stillen Tränen, über die man vielleicht später einmal wird lachen können. Gespenster kennen kein Später, sie haben keinen Begriff von Zeit. Sie haben nur die Existenz, und die ist jetzt, nicht irgendwann. Die Geister, von denen ich hier spreche, waren einmal Wünsche, unberechtigte Wünsche, die ich leider nicht berücksichtigen konnte. Dem verdanken sie ihre Existenz. Wenn sie hervortreten, sobald die Sonne weg ist, so ist ihr Heulen ein trotziges Wollen. Und ihre Enttäuschung, wenn ich wieder einmal - mehr oder weniger - verständnisvoll den Kopf schüttle, schlägt in grimmiges Geheul um, sodass ihre Flüche mich bis ins Mark treffen. Auch heute will ich mich ihnen wieder stellen.
So wie die Zeit sich in den lichten und sonnigen Tag und die kalte, schwarze Nacht teilt, so ist auch das Wesen des Menschen dem nachgebildet. Seine Tagseite ist die Welt des Verstandes, der klaren Rede, der Vernunft, der Tat, der vielen Pläne und deren Umsetzung hin zum Erfolg, dem Wachstum, dem Mehrwert.
Die Nachtseite ist sein Gegenteil.
Hier versammelt sich all das, was an der Tagseite keinen Platz findet. Die unlauteren Wünsche, die Träume, die Ängste, der Tod und das Vergehen. Die Tagseite hat einen ganzen Park von Wissenschaften hervorgebracht, welche das sichtbare strukturieren, berechenbar und damit verfügbar machen. Wir haben eine Sprache, welche die Phänomene der Tagseite in all ihren Facetten auszudrücken vermag. Deswegen können wir uns auf der Tagseite begegnen, können uns sehen, können uns was erzählen. Hier können wir in der Kommunikation bis zur Globalität verwachsen.
Wie anders ist doch die Nachtseite. Da auf unsere Gefühle keine Sonne scheinen kann, respektive sie keine Farben reflektieren, sie somit nicht sichtbar sind, deswegen fristen sie auf der Tagseite das Dasein von geduldeten Bettlern. Aber die Nachtseite gehört ihnen. Hier wachsen sie und werden groß. Halte ich ihnen zu meiner Tagseite entgegen, dass sie eigentlich nicht wirklich existierten, so lachen sie mich aus. "Geh doch auf die Tagseite und verbrenne dort in der Sonne!", so verhöhnen sie mich, wohl wissend, das es noch dauern wird, bis die Erde sich ins Licht gedreht hat und ich dem wortlosen Fühlen entfliehen kann. Die Nacht gibt meinen Augen zu wenig Halt, ständig rutschen sie auf die Innenseite. Ein mir gegenüber Sitzender - gäbe es denn einen - wendete sich wohl grauenerfüllt ab, sähe er nur noch das Weiße in meinen aufgerissenen Augen. Oder er sähe den Blick auf sich ruhen, so er selber ein im Inneren Sitzender ist, und den schrecklichen Anblick meiner weißen Augäpfel immer zur Tageszeit ertragen müsste.
Viele Menschen wissen nichts von der Nachtseite. Wohl kennen sie die Nacht, aber die verschlafen, vertrinken, vertelevisieren oder verflirten sie. Dennoch ist auch denen die Nachtseite näher, als ihnen lieb ist. Ich will sie nicht drängen. Sie fühlen sich so wohl und sicher auf ihrer Tagseite, dass ich sie nicht verstören mag. Da gibt es einen, der in allem, was er tut, die pure Vernunft ist. Wie auch immer er entscheidet, er weiß gute Gründe dafür. Sein Leben ist auch in der Tat beneidenswert geordnet, und er gibt vielen hinfälligen Menschen Halt mit seiner Sicherheit.
Alleine, wenn man seine Beweggründe durchleuchtet, und an der Schärfe der ihm eigenen Vernunft misst, erkennt man die Lücken. Rationalisierung, nennen das die Wissenschaften der Tagseite, und geben damit dem Allnächtlichen ein wenig Raum in ihrer von Licht durchfluteten Welt. Man hat gute Gründe für sein Tun, aber es sind nur gutklingende, es sind nicht die eigentlichen, die ihn bewegen. Die liegen auf der dunklen Seite.
Die Wissenschaften, oder ganz allgemein die Vernunft, sie handelt nur von der Tagseite. Weil die Nacht aber allgegenwärtig ist, räumt man ihr ein kleines Plätzchen ein. Die Psychologie darf sich mit den Absurditäten der menschlichen Seele - von der Tagseite betrachtet handelt es sich nur um Absurditäten - befassen. Sie muss Distanz bewahren, sie muss immer wieder klarstellen, dass sie nie und nimmer glaubt, was die Wahnsinnigen, welche sie behandelt und von den Tagseitigen fernhält, so behaupten. Dann darf sich auch noch die Theologie damit befassen. Aber an die glaubt sowieso niemand, obschon sie vom Thema her vieles zu sagen hätte. Ihre Auffassung basiert auf uralten Traditionen aus der Vorzeit, und damals waren die Menschen vielleicht noch viel besser mit ihrer Nachtseite in Kontakt. Es gab Schamanen, die hinübergehen konnten, die die Wesen der anderen Seite mit Namen, Aussehen und Bedeutung kannten. Das war nicht purer Wahnsinn oder panisches Entsetzen, das war eine Welt, in der man sich auskennen musste, wo man vorsichtig war, um die schlafenden Geister nicht zu wecken, wo man ein Geschenk mitbringen musste, wollte man von der Großen Mutter Auskunft, wo man etwas zurücklassen musste, um das Gleichgewicht der Welten zu wahren, wo ein Geist nicht nur ein Schreck sondern ein Verhandlungspartner war, den man beim unaussprechbaren Wort nehmen konnte. Ein Schamane bewegt sich auf der Nachtseite - wenn er denn wirklich ein guter war - so sicher, wie ich mich im Park in der Nachmittagssonne. Hätte man damals schon Kriminalromane geschrieben, sie hätten wohl alle drüben gespielt und der Kommissar wäre ein Zauberer gewesen, der nach dem Geist sucht, welcher Ursache der grimmigen Verkettung ist. Auch heute noch kommen die Ursachen von den Nachtseiten, aber man nennt sie nicht mehr Geister, sondern Eifersucht, Gier, Angst, Hass - und man glaubt, damit hätte man etwas erklärt. Aber warum ist - um Heidegger zu paraphrasieren - warum "ist da Eifersucht, und nicht vielmehr nichts"? Was treibt den Menschen um, dass er sein und des andern Leben nicht mehr achtet, weil da etwas größeres in der kleinen Kammer steht, etwas das ihm befiehlt oder ihm ins Herz gelegt wurde? Wüsste man, wer in der Nachtseite geschädigt wurde und nach einem ausgleichenden Opfer verlangt, vielleicht genügte auch ein Zicklein, wenn es auf die rechte Art dargebracht wird, damit nicht ganze Völker ins Gas gehen müssen, um den Großen Zürnenden wieder mit der hinfälligen Kreatur zu versöhnen.
Natürlich hat das Messingherz noch viel weniger Ahnung von den Wesen und Dingen, die drüben sind oder sein könnten. Er denkt nur still in die Nacht hinein. Immer dann, wenn seine Gespenster ihn anlächeln, so glaubt er, er sei auf der richtigen Spur. Wer glaubt hingegen schon den Gespenstern, wenn er weiß, das sich sein Leben irgendwann auf der Tagseite entscheiden wird.
Doch so redet die Theologie nicht mehr. Die Vernunft hat sie schon längst an die Wand gedrängt oder in ein Käfig gesperrt, wie einem Tanzbären einen Ring durch die Nase gestoßen, und immer wenn der Aufgeklärte auf seinem ausgeleierten Verstand fiedelt, muss der Bär tanzen und hat bei allem Tanzen schon vergessen, woher er kommt, und das einstmals ein Tatzenstreich genügte, um alle Tiere des Waldes Respekt zu lehren. Sie tut es ja manchmal noch - und erntet dabei nur Mitleid, ob ihres hilflosen, rührenden Zornes. Sie hat es nicht besser verdient, hat sie sich doch ein für alle mal festgelegt, dass alles Geheimnis zwischen den Deckeln eines alten Buches verborgen sei, und sich so selbst zum Komparatisten degradiert, anstatt das Geheimnis in der (Un-)Tat zu suchen oder im Wind, der dem Sturm vorausgeht, oder im Fließen des stillen Wassers vor dem Katarakt.
Mit der Vernunft ordnet man die Dinge des Tages, doch womit versteht man die Dinge der Nacht? Wenn wir von den Träumen reden, so meinen wir keine Sprache, sondern Bilderfetzen des Tages - so wird alles dem Tag untergeordnet, selbst die Sprache der Nacht. Es gibt keine Dämonen mehr, sondern Gefühle, subjektives, das man mit niemandem mehr teilen kann, weil man Gefühle nur selber fühlen kann. Was soll ich mit einer Sprache sagen, die niemand mehr versteht, außer ich selbst. Lohnt da eine Sprache überhaupt noch?
Aber es gibt die Dinge der Nacht, welche besser in den Schatten blieben, indessen an den Tag drängen, wie Unterdrückte, die ihrer Kerker überdrüssig sind. Von den vielen Wesen der Nacht, die in den Tag drängen, wie dem Wahnsinn, der Trauer, dem grundlosen Hass - auch wenn man ihm noch so viele Scheinbegründungen voranstellt - will ich von einem Wahn genauer erzählen, der Liebe, welche die Menschen in den Tag hinein verfolgt und sie zu allerlei Unfug bei Tageslicht verleitet, ohne das sie es merkten - oder erst dann, wenn es zu spät ist.
So wie ich selbst, haben auch alle meine Freunde geliebt, und wir werden es immer wieder tun. Während ich mit einem gebrochenen Herzen davon gekommen bin, hat es andere härter erwischt. Ein Freund hat aus Liebe geheiratet, ein Kind gezeugt, eine Familie gegründet, ein Haus gebaut, bis die Frau samt Kindern weg ist, mein Freund seinen Job verlor, die Bank sein Haus nahm, worauf nur noch ein Schatten seiner selbst blieb. Mit nicht weniger hat sich der Dämon zufrieden gegeben. Er flüsterte ihm die Geschichten vom ewigen Glück ins Ohr - und niemand von der Tagseite hat ihn gewarnt, alle haben ihm gratuliert, zu seiner tollen Frau, zu seinen wohlerzogenen Kindern, zu dem, was er sich aufgebaut hat. Nicht nur er, nein wir alle, glaubten diesen Geschichten, die in das Reich der Schatten gehören und dort ein schönes Bild machen, aber in Wirklichkeit kein Licht vertragen. Denn die Gesetze der Tagseite laufen quer zu den Gesetzen der Nachtseite. Bei Tag spricht fast alles gegen die Liebe, wie der nächtliche Traum aller Vernunft spottet.
Eine Freundin hat aus Liebe das Kind behalten, hat es alleine großgezogen, neben ihrer Arbeit, neben ihren misslungenen Beziehungen. Und als es groß war, und sie frei gewesen wäre, hat sie - und sie hätte es besser wissen müssen - wieder ein Kind aus Liebe empfangen. Natürlich sitzt sie wiederum alleine in ihrer kalten Wohnung, weil sie die Heizung nicht zu hoch aufdrehen will.
Wer auf der Tagseite den Weg der Liebe geht, findet sich am Ende in der Armut wieder. Wer vernünftig denkt, wird kein Kind in die Welt setzen, denn man arbeitet und bezahlt ohne Ende. Je mehr sich das durchspricht, desto weniger Kinder werden geboren. Da hilft auch kein Kindergeld mehr. Und das, so behaupte ich, ist der wahre Grund, weshalb keine Kinder mehr geboren werden: weil sie auf der Tagseite keinen Platz haben, weil wir alle auch Kinder der Nacht sind und wir erst dann wieder eine Zukunft haben - wir, denn wir waren alle mal Kinder - wenn wir wieder bereit sind, die Bürden der Nacht auf unsere linke Schulter zu nehmen. Unser Nachwuchs kommt deswegen hauptsächlich von Einwanderern, die zwar genau so wenig Verbindung zu den dunklen Seiten haben, wie wir, die allerdings noch Traditionen folgen, welche von einer Nachtseite erzählen - ohne das verständnisvolle Lächeln der Therapeuten. Die ersten Generationen wenigstens noch nicht. Die späteren werden so wie wir.
Aber: wo wären wir denn alle ohne diesen Großen Irrtum? Das Messingherz wurde in einer von drei klaren Winternächten gezeugt, an denen zwei sich fremde Menschen in einem fremden Land sich aneinander kuschelten, und glaubten, dass doch alles möglich sei, wenn da nur die Liebe wäre. Diese Liebe währte nicht einmal die neun Monate, welche dem Messingherz zur Lichtbeständigkeit fehlten. Und als er kam, war die Liebe schon weiter gezogen, zurück in die Nacht. Sie hatte ihr Werk getan, das Medsingherz ward Wirklichkeit - der Rest war die Klage eines einsamen Mädchens, das nicht gewillt war allzulange zu klagen. Vielleicht ist das Messingherz deswegen nie vollkommen ans Licht getreten, weil seine Eltern nur zuvorderst zwei Menschen waren, dahinter aber der Große Gegensatz den beiden den kleinen Traum ins Herz legte, ihnen, die gegen die Zumutungen der Nachtseite so ungewappnet waren, wie man als Kind eben ist. So hat die Nacht ein neues Geschöpf in den Tag geboren, Tag und Nacht auf diese Weise aneinander gebunden, damit die Welt auch im Innersten zusammenhält. Und deswegen sitzt das Messingherz in der Nacht, wenn alle schlafen und quält sich ab, seine auseinander strebenden Hälften zusammen zu halten.
Damit die beiden Hälften der Welt zusammen bleiben.
Hier lächeln sie, meine Gespenster, und ich weiß, dass sie meine Worte freuen, auch wenn ich kein Wort davon glauben will.
Wie sollte ich sonst die Tage überstehen.
Die Rationalisierung. Sie ist die Schutzwand, welche die Vernunft gegen die Nachtseite aufgestellt hat. Sie ist sozusagen eine "Vernünftigmachung" des Unvernünftigen. Und sie gibt uns das Gefühl, dass wir der Vernünftigmachung ohnehin nicht auf den Leim gehen, das Wort ist uns Beweis für unsere hellsichtige Abgeklärtheit. Aber wir belassen es beim Benennen, sodass das Wort selber bereits eine Rationalisierung darstellt, sozusagen eine Verdoppelung, eine die verhindert, dass wir uns dem Wahnsinn im grellen Licht stellen müssen. Eine, die den Normalen das Gefühl gibt, normal zu sein, wenn die Nacht sie schon längst gepackt hat. Sie soll wie eine Taschenlampe für die Finsternis sein. Aber sie ist ein Kino, ein Lichtspiel, eine Geschichte, wie man sie den Kindern erzählt, wenn sie die Nähe der Gespenster fühlen, und man ihnen wenigstens die Angst mit einem Nachtlicht nehmen möchte - die Gespenster selber kann man ihnen ohnehin nicht nehmen. Den Kindern erzählen wir immer und immer wieder, dass es die Welt da drüben gar nicht gäbe, und die Nacht einfach die Abwesenheit der Sonne sei, welche bestimmt wieder käme. So lehren wir sie den Schlaf zur Nachtzeit. Wir unterfüttern diesen Standpunkt mit Argumenten, wie dem gesunden Schlaf, dem Schlaf, der schön macht, dem Rhythmus, der dem Altern vorbeuge - und niemand sagt, weshalb man in der Nacht wach bleiben solle.
Das tun nur die Einbrecher und die unglücklich Liebenden.
Damit die Liebe halbwegs der Sonne bestehen kann, haben wir Regeln erfunden. Zuerst erfanden wir die lebenslange Treue. Als das nicht klappte, erfanden wir das Eherecht. Als das nicht hinhaute, erfanden wir die Scheidung. Schließlich übergaben wir sie den Gerichten. Aber am Ende landen wir bei den mild lächelnden Therapeuten, die uns klar machen, man müsse nun lernen, eine Einbildung los zu lassen. Immerhin wird sie zum Schluss Einbildung genannt. Aber niemand lehrt uns, woher die Einbildungen kommen, was sie für einen Sinn haben, wovon sie sprechen, weshalb sie uns heimsuchen.
Die Menschen früherer Zeiten konnten sich wenigsten noch an Geschichten festhalten. Für die Trojaner muss der Krieg vor der eigenen Stadt ein schrecklicher gewesen sein, aber sie wussten, warum, sie wussten, das die Götter sich stritten - und wie könnte es dann auf Erden anders sein. Wie würden die Alten Griechen den drohenden Klimakollaps beschreiben? Vielleicht erzählten sie sich Geschichten von Prometheus weiter, der den Menschen das Geheimnis des Feuers brachte. Das Feuer, das Metall beherrscht, von der Kraft der Erde, die Jahrtausende unter dem Sand schlummerte, bis die Menschen ihr Geheimnis entdeckten, von der Hybris, dass die Menschen es den Göttern gleichtun wollten, dass sie fliegen wollten, wie Hermes und es auch tatsächlich schafften, aber die uralten Kinder Gaias mit ihren Feuern befreiten, die sich in die Luft erhoben und die Sonne verfinsterten, worauf die Scharen aus den Dunkelheiten auf die Menschen losgelassen wurden, die Menschen aber hilflos waren, weil sie verlernt hatten, in der Nacht zu leben und die Ansprache der Geister nicht mehr beherrschten.
Nein, so macht man das nicht auf der Tagseite. Dort werden Daten gesammelt, Trillionen von Daten, in Simmulationsmodellen parametriert, wo neue Tagseiten entstehen und vergehen, bis der Rechner nur noch Nacht sieht. Diese Furcht gibt man den Kindern des Lichts, ängstigt sie mit dem Verschwinden der Sonne - und erreicht nur, dass sie sich abwenden und nichts mehr sehen wollen. Sie fürchten die Nacht und ihre Gespenster. Die Mächtigen konferieren rund um den Globus, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass etwas getan werde, dass für sie gesorgt sei, dass sie des nachts ruhig schlafen können, da alle Gespenster weiterhin Illusion seien - der mild lächelnde Therapeut sagt es dir nochmals persönlich, wenn du es dir leisten kannst.
Doch sollte der Himmel wirklich einmal brennen, sollte es wirklich soweit kommen, dass der Tag keine Nacht mehr kennt, was soviel heißt, wie dass die Geister der Nacht die schützenden Mauern überwunden haben, und es wäre nicht das erste Mal in unserer kurzen Geschichte ... sollte es so sein, werden uns die Vernünftigen außer ihren geradlinigen Begründungen, nichts weiter zu geben haben, als den Bären ein letztes Mal aus dem Käfig zu holen, ihn zur Fiedel tanzen zu lassen, den Großen Totentanz, den linksdrehenden um das frisch geschaufelte Grab, um ihn nach schlußendlichem Erreichen des Grundtones um einen Schlag mit der Tatze zu bitten, damit uns das Schlimmste erspart bleibt.
Das größte unter den Gespenstern steht nun, da der Horizont grau wird und sich die kalte Schar aufmacht, um ihre Rückreise anzutreten, es steht nun auf und tritt an mich heran. Meine Rede hat ihm durchaus gefallen. Aber es sagt mir in einer Sprache, für die der Tag keine Worte hat, dass ich seine erste Frage noch immer nicht beantwortet hätte, obschon er nur der erste sei, der am Tor wachte, dass dahinter noch ein weiteres Tor sei mit einem Wächter, welcher noch viel mächtiger sei, als er. Ich weiß, dass es kein Entkommen gibt, aber die seltene Freundlichkeit ermutigt mich.
Ich wäre nicht der erste, der sein Leben am Einlass zum Großen Gesetz beendet, bevor er es gesehen hat.
So wie die Zeit sich in den lichten und sonnigen Tag und die kalte, schwarze Nacht teilt, so ist auch das Wesen des Menschen dem nachgebildet. Seine Tagseite ist die Welt des Verstandes, der klaren Rede, der Vernunft, der Tat, der vielen Pläne und deren Umsetzung hin zum Erfolg, dem Wachstum, dem Mehrwert.
Die Nachtseite ist sein Gegenteil.
Hier versammelt sich all das, was an der Tagseite keinen Platz findet. Die unlauteren Wünsche, die Träume, die Ängste, der Tod und das Vergehen. Die Tagseite hat einen ganzen Park von Wissenschaften hervorgebracht, welche das sichtbare strukturieren, berechenbar und damit verfügbar machen. Wir haben eine Sprache, welche die Phänomene der Tagseite in all ihren Facetten auszudrücken vermag. Deswegen können wir uns auf der Tagseite begegnen, können uns sehen, können uns was erzählen. Hier können wir in der Kommunikation bis zur Globalität verwachsen.
Wie anders ist doch die Nachtseite. Da auf unsere Gefühle keine Sonne scheinen kann, respektive sie keine Farben reflektieren, sie somit nicht sichtbar sind, deswegen fristen sie auf der Tagseite das Dasein von geduldeten Bettlern. Aber die Nachtseite gehört ihnen. Hier wachsen sie und werden groß. Halte ich ihnen zu meiner Tagseite entgegen, dass sie eigentlich nicht wirklich existierten, so lachen sie mich aus. "Geh doch auf die Tagseite und verbrenne dort in der Sonne!", so verhöhnen sie mich, wohl wissend, das es noch dauern wird, bis die Erde sich ins Licht gedreht hat und ich dem wortlosen Fühlen entfliehen kann. Die Nacht gibt meinen Augen zu wenig Halt, ständig rutschen sie auf die Innenseite. Ein mir gegenüber Sitzender - gäbe es denn einen - wendete sich wohl grauenerfüllt ab, sähe er nur noch das Weiße in meinen aufgerissenen Augen. Oder er sähe den Blick auf sich ruhen, so er selber ein im Inneren Sitzender ist, und den schrecklichen Anblick meiner weißen Augäpfel immer zur Tageszeit ertragen müsste.
Viele Menschen wissen nichts von der Nachtseite. Wohl kennen sie die Nacht, aber die verschlafen, vertrinken, vertelevisieren oder verflirten sie. Dennoch ist auch denen die Nachtseite näher, als ihnen lieb ist. Ich will sie nicht drängen. Sie fühlen sich so wohl und sicher auf ihrer Tagseite, dass ich sie nicht verstören mag. Da gibt es einen, der in allem, was er tut, die pure Vernunft ist. Wie auch immer er entscheidet, er weiß gute Gründe dafür. Sein Leben ist auch in der Tat beneidenswert geordnet, und er gibt vielen hinfälligen Menschen Halt mit seiner Sicherheit.
Alleine, wenn man seine Beweggründe durchleuchtet, und an der Schärfe der ihm eigenen Vernunft misst, erkennt man die Lücken. Rationalisierung, nennen das die Wissenschaften der Tagseite, und geben damit dem Allnächtlichen ein wenig Raum in ihrer von Licht durchfluteten Welt. Man hat gute Gründe für sein Tun, aber es sind nur gutklingende, es sind nicht die eigentlichen, die ihn bewegen. Die liegen auf der dunklen Seite.
Die Wissenschaften, oder ganz allgemein die Vernunft, sie handelt nur von der Tagseite. Weil die Nacht aber allgegenwärtig ist, räumt man ihr ein kleines Plätzchen ein. Die Psychologie darf sich mit den Absurditäten der menschlichen Seele - von der Tagseite betrachtet handelt es sich nur um Absurditäten - befassen. Sie muss Distanz bewahren, sie muss immer wieder klarstellen, dass sie nie und nimmer glaubt, was die Wahnsinnigen, welche sie behandelt und von den Tagseitigen fernhält, so behaupten. Dann darf sich auch noch die Theologie damit befassen. Aber an die glaubt sowieso niemand, obschon sie vom Thema her vieles zu sagen hätte. Ihre Auffassung basiert auf uralten Traditionen aus der Vorzeit, und damals waren die Menschen vielleicht noch viel besser mit ihrer Nachtseite in Kontakt. Es gab Schamanen, die hinübergehen konnten, die die Wesen der anderen Seite mit Namen, Aussehen und Bedeutung kannten. Das war nicht purer Wahnsinn oder panisches Entsetzen, das war eine Welt, in der man sich auskennen musste, wo man vorsichtig war, um die schlafenden Geister nicht zu wecken, wo man ein Geschenk mitbringen musste, wollte man von der Großen Mutter Auskunft, wo man etwas zurücklassen musste, um das Gleichgewicht der Welten zu wahren, wo ein Geist nicht nur ein Schreck sondern ein Verhandlungspartner war, den man beim unaussprechbaren Wort nehmen konnte. Ein Schamane bewegt sich auf der Nachtseite - wenn er denn wirklich ein guter war - so sicher, wie ich mich im Park in der Nachmittagssonne. Hätte man damals schon Kriminalromane geschrieben, sie hätten wohl alle drüben gespielt und der Kommissar wäre ein Zauberer gewesen, der nach dem Geist sucht, welcher Ursache der grimmigen Verkettung ist. Auch heute noch kommen die Ursachen von den Nachtseiten, aber man nennt sie nicht mehr Geister, sondern Eifersucht, Gier, Angst, Hass - und man glaubt, damit hätte man etwas erklärt. Aber warum ist - um Heidegger zu paraphrasieren - warum "ist da Eifersucht, und nicht vielmehr nichts"? Was treibt den Menschen um, dass er sein und des andern Leben nicht mehr achtet, weil da etwas größeres in der kleinen Kammer steht, etwas das ihm befiehlt oder ihm ins Herz gelegt wurde? Wüsste man, wer in der Nachtseite geschädigt wurde und nach einem ausgleichenden Opfer verlangt, vielleicht genügte auch ein Zicklein, wenn es auf die rechte Art dargebracht wird, damit nicht ganze Völker ins Gas gehen müssen, um den Großen Zürnenden wieder mit der hinfälligen Kreatur zu versöhnen.
Natürlich hat das Messingherz noch viel weniger Ahnung von den Wesen und Dingen, die drüben sind oder sein könnten. Er denkt nur still in die Nacht hinein. Immer dann, wenn seine Gespenster ihn anlächeln, so glaubt er, er sei auf der richtigen Spur. Wer glaubt hingegen schon den Gespenstern, wenn er weiß, das sich sein Leben irgendwann auf der Tagseite entscheiden wird.
Doch so redet die Theologie nicht mehr. Die Vernunft hat sie schon längst an die Wand gedrängt oder in ein Käfig gesperrt, wie einem Tanzbären einen Ring durch die Nase gestoßen, und immer wenn der Aufgeklärte auf seinem ausgeleierten Verstand fiedelt, muss der Bär tanzen und hat bei allem Tanzen schon vergessen, woher er kommt, und das einstmals ein Tatzenstreich genügte, um alle Tiere des Waldes Respekt zu lehren. Sie tut es ja manchmal noch - und erntet dabei nur Mitleid, ob ihres hilflosen, rührenden Zornes. Sie hat es nicht besser verdient, hat sie sich doch ein für alle mal festgelegt, dass alles Geheimnis zwischen den Deckeln eines alten Buches verborgen sei, und sich so selbst zum Komparatisten degradiert, anstatt das Geheimnis in der (Un-)Tat zu suchen oder im Wind, der dem Sturm vorausgeht, oder im Fließen des stillen Wassers vor dem Katarakt.
Mit der Vernunft ordnet man die Dinge des Tages, doch womit versteht man die Dinge der Nacht? Wenn wir von den Träumen reden, so meinen wir keine Sprache, sondern Bilderfetzen des Tages - so wird alles dem Tag untergeordnet, selbst die Sprache der Nacht. Es gibt keine Dämonen mehr, sondern Gefühle, subjektives, das man mit niemandem mehr teilen kann, weil man Gefühle nur selber fühlen kann. Was soll ich mit einer Sprache sagen, die niemand mehr versteht, außer ich selbst. Lohnt da eine Sprache überhaupt noch?
Aber es gibt die Dinge der Nacht, welche besser in den Schatten blieben, indessen an den Tag drängen, wie Unterdrückte, die ihrer Kerker überdrüssig sind. Von den vielen Wesen der Nacht, die in den Tag drängen, wie dem Wahnsinn, der Trauer, dem grundlosen Hass - auch wenn man ihm noch so viele Scheinbegründungen voranstellt - will ich von einem Wahn genauer erzählen, der Liebe, welche die Menschen in den Tag hinein verfolgt und sie zu allerlei Unfug bei Tageslicht verleitet, ohne das sie es merkten - oder erst dann, wenn es zu spät ist.
So wie ich selbst, haben auch alle meine Freunde geliebt, und wir werden es immer wieder tun. Während ich mit einem gebrochenen Herzen davon gekommen bin, hat es andere härter erwischt. Ein Freund hat aus Liebe geheiratet, ein Kind gezeugt, eine Familie gegründet, ein Haus gebaut, bis die Frau samt Kindern weg ist, mein Freund seinen Job verlor, die Bank sein Haus nahm, worauf nur noch ein Schatten seiner selbst blieb. Mit nicht weniger hat sich der Dämon zufrieden gegeben. Er flüsterte ihm die Geschichten vom ewigen Glück ins Ohr - und niemand von der Tagseite hat ihn gewarnt, alle haben ihm gratuliert, zu seiner tollen Frau, zu seinen wohlerzogenen Kindern, zu dem, was er sich aufgebaut hat. Nicht nur er, nein wir alle, glaubten diesen Geschichten, die in das Reich der Schatten gehören und dort ein schönes Bild machen, aber in Wirklichkeit kein Licht vertragen. Denn die Gesetze der Tagseite laufen quer zu den Gesetzen der Nachtseite. Bei Tag spricht fast alles gegen die Liebe, wie der nächtliche Traum aller Vernunft spottet.
Eine Freundin hat aus Liebe das Kind behalten, hat es alleine großgezogen, neben ihrer Arbeit, neben ihren misslungenen Beziehungen. Und als es groß war, und sie frei gewesen wäre, hat sie - und sie hätte es besser wissen müssen - wieder ein Kind aus Liebe empfangen. Natürlich sitzt sie wiederum alleine in ihrer kalten Wohnung, weil sie die Heizung nicht zu hoch aufdrehen will.
Wer auf der Tagseite den Weg der Liebe geht, findet sich am Ende in der Armut wieder. Wer vernünftig denkt, wird kein Kind in die Welt setzen, denn man arbeitet und bezahlt ohne Ende. Je mehr sich das durchspricht, desto weniger Kinder werden geboren. Da hilft auch kein Kindergeld mehr. Und das, so behaupte ich, ist der wahre Grund, weshalb keine Kinder mehr geboren werden: weil sie auf der Tagseite keinen Platz haben, weil wir alle auch Kinder der Nacht sind und wir erst dann wieder eine Zukunft haben - wir, denn wir waren alle mal Kinder - wenn wir wieder bereit sind, die Bürden der Nacht auf unsere linke Schulter zu nehmen. Unser Nachwuchs kommt deswegen hauptsächlich von Einwanderern, die zwar genau so wenig Verbindung zu den dunklen Seiten haben, wie wir, die allerdings noch Traditionen folgen, welche von einer Nachtseite erzählen - ohne das verständnisvolle Lächeln der Therapeuten. Die ersten Generationen wenigstens noch nicht. Die späteren werden so wie wir.
Aber: wo wären wir denn alle ohne diesen Großen Irrtum? Das Messingherz wurde in einer von drei klaren Winternächten gezeugt, an denen zwei sich fremde Menschen in einem fremden Land sich aneinander kuschelten, und glaubten, dass doch alles möglich sei, wenn da nur die Liebe wäre. Diese Liebe währte nicht einmal die neun Monate, welche dem Messingherz zur Lichtbeständigkeit fehlten. Und als er kam, war die Liebe schon weiter gezogen, zurück in die Nacht. Sie hatte ihr Werk getan, das Medsingherz ward Wirklichkeit - der Rest war die Klage eines einsamen Mädchens, das nicht gewillt war allzulange zu klagen. Vielleicht ist das Messingherz deswegen nie vollkommen ans Licht getreten, weil seine Eltern nur zuvorderst zwei Menschen waren, dahinter aber der Große Gegensatz den beiden den kleinen Traum ins Herz legte, ihnen, die gegen die Zumutungen der Nachtseite so ungewappnet waren, wie man als Kind eben ist. So hat die Nacht ein neues Geschöpf in den Tag geboren, Tag und Nacht auf diese Weise aneinander gebunden, damit die Welt auch im Innersten zusammenhält. Und deswegen sitzt das Messingherz in der Nacht, wenn alle schlafen und quält sich ab, seine auseinander strebenden Hälften zusammen zu halten.
Damit die beiden Hälften der Welt zusammen bleiben.
Hier lächeln sie, meine Gespenster, und ich weiß, dass sie meine Worte freuen, auch wenn ich kein Wort davon glauben will.
Wie sollte ich sonst die Tage überstehen.
Die Rationalisierung. Sie ist die Schutzwand, welche die Vernunft gegen die Nachtseite aufgestellt hat. Sie ist sozusagen eine "Vernünftigmachung" des Unvernünftigen. Und sie gibt uns das Gefühl, dass wir der Vernünftigmachung ohnehin nicht auf den Leim gehen, das Wort ist uns Beweis für unsere hellsichtige Abgeklärtheit. Aber wir belassen es beim Benennen, sodass das Wort selber bereits eine Rationalisierung darstellt, sozusagen eine Verdoppelung, eine die verhindert, dass wir uns dem Wahnsinn im grellen Licht stellen müssen. Eine, die den Normalen das Gefühl gibt, normal zu sein, wenn die Nacht sie schon längst gepackt hat. Sie soll wie eine Taschenlampe für die Finsternis sein. Aber sie ist ein Kino, ein Lichtspiel, eine Geschichte, wie man sie den Kindern erzählt, wenn sie die Nähe der Gespenster fühlen, und man ihnen wenigstens die Angst mit einem Nachtlicht nehmen möchte - die Gespenster selber kann man ihnen ohnehin nicht nehmen. Den Kindern erzählen wir immer und immer wieder, dass es die Welt da drüben gar nicht gäbe, und die Nacht einfach die Abwesenheit der Sonne sei, welche bestimmt wieder käme. So lehren wir sie den Schlaf zur Nachtzeit. Wir unterfüttern diesen Standpunkt mit Argumenten, wie dem gesunden Schlaf, dem Schlaf, der schön macht, dem Rhythmus, der dem Altern vorbeuge - und niemand sagt, weshalb man in der Nacht wach bleiben solle.
Das tun nur die Einbrecher und die unglücklich Liebenden.
Damit die Liebe halbwegs der Sonne bestehen kann, haben wir Regeln erfunden. Zuerst erfanden wir die lebenslange Treue. Als das nicht klappte, erfanden wir das Eherecht. Als das nicht hinhaute, erfanden wir die Scheidung. Schließlich übergaben wir sie den Gerichten. Aber am Ende landen wir bei den mild lächelnden Therapeuten, die uns klar machen, man müsse nun lernen, eine Einbildung los zu lassen. Immerhin wird sie zum Schluss Einbildung genannt. Aber niemand lehrt uns, woher die Einbildungen kommen, was sie für einen Sinn haben, wovon sie sprechen, weshalb sie uns heimsuchen.
Die Menschen früherer Zeiten konnten sich wenigsten noch an Geschichten festhalten. Für die Trojaner muss der Krieg vor der eigenen Stadt ein schrecklicher gewesen sein, aber sie wussten, warum, sie wussten, das die Götter sich stritten - und wie könnte es dann auf Erden anders sein. Wie würden die Alten Griechen den drohenden Klimakollaps beschreiben? Vielleicht erzählten sie sich Geschichten von Prometheus weiter, der den Menschen das Geheimnis des Feuers brachte. Das Feuer, das Metall beherrscht, von der Kraft der Erde, die Jahrtausende unter dem Sand schlummerte, bis die Menschen ihr Geheimnis entdeckten, von der Hybris, dass die Menschen es den Göttern gleichtun wollten, dass sie fliegen wollten, wie Hermes und es auch tatsächlich schafften, aber die uralten Kinder Gaias mit ihren Feuern befreiten, die sich in die Luft erhoben und die Sonne verfinsterten, worauf die Scharen aus den Dunkelheiten auf die Menschen losgelassen wurden, die Menschen aber hilflos waren, weil sie verlernt hatten, in der Nacht zu leben und die Ansprache der Geister nicht mehr beherrschten.
Nein, so macht man das nicht auf der Tagseite. Dort werden Daten gesammelt, Trillionen von Daten, in Simmulationsmodellen parametriert, wo neue Tagseiten entstehen und vergehen, bis der Rechner nur noch Nacht sieht. Diese Furcht gibt man den Kindern des Lichts, ängstigt sie mit dem Verschwinden der Sonne - und erreicht nur, dass sie sich abwenden und nichts mehr sehen wollen. Sie fürchten die Nacht und ihre Gespenster. Die Mächtigen konferieren rund um den Globus, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass etwas getan werde, dass für sie gesorgt sei, dass sie des nachts ruhig schlafen können, da alle Gespenster weiterhin Illusion seien - der mild lächelnde Therapeut sagt es dir nochmals persönlich, wenn du es dir leisten kannst.
Doch sollte der Himmel wirklich einmal brennen, sollte es wirklich soweit kommen, dass der Tag keine Nacht mehr kennt, was soviel heißt, wie dass die Geister der Nacht die schützenden Mauern überwunden haben, und es wäre nicht das erste Mal in unserer kurzen Geschichte ... sollte es so sein, werden uns die Vernünftigen außer ihren geradlinigen Begründungen, nichts weiter zu geben haben, als den Bären ein letztes Mal aus dem Käfig zu holen, ihn zur Fiedel tanzen zu lassen, den Großen Totentanz, den linksdrehenden um das frisch geschaufelte Grab, um ihn nach schlußendlichem Erreichen des Grundtones um einen Schlag mit der Tatze zu bitten, damit uns das Schlimmste erspart bleibt.
Das größte unter den Gespenstern steht nun, da der Horizont grau wird und sich die kalte Schar aufmacht, um ihre Rückreise anzutreten, es steht nun auf und tritt an mich heran. Meine Rede hat ihm durchaus gefallen. Aber es sagt mir in einer Sprache, für die der Tag keine Worte hat, dass ich seine erste Frage noch immer nicht beantwortet hätte, obschon er nur der erste sei, der am Tor wachte, dass dahinter noch ein weiteres Tor sei mit einem Wächter, welcher noch viel mächtiger sei, als er. Ich weiß, dass es kein Entkommen gibt, aber die seltene Freundlichkeit ermutigt mich.
Ich wäre nicht der erste, der sein Leben am Einlass zum Großen Gesetz beendet, bevor er es gesehen hat.
messingherz - 14. Okt, 10:27