Von der Macht
Beim früheren Nächtebuchschreiben war mir immer klar, dass das niemand lesen wird. Und wenn doch, wird er es nie zugeben, denn er muss es sich auf unredliche Art besorgt haben. Wenn man das ganze aber so schreibt, dass es andere lesen können, ist das was anderes. Etwas völlig anderes. Da gibt es diesen kleinen Zensor im Kopf, der zumindest darauf achtet, nichts durchgehen zu lassen, das auf meine Person schließen ließe. Ich will ja nicht über mich schreiben – jedenfalls nicht unmittelbar.
Worüber will ich heute schreiben? Vielleicht über die Macht.
Es geht um Menschen, die innerhalb einer Struktur anderen Leuten Vorschriften machen dürfen. Wenn etwa in meinem Freundeskreis jemand was zu mir sagt, kommentiere ich es, befolge ich es oder eben nicht, lache drüber u. s. w..
Nicht gegenüber einem Mächtigen, gegenüber einem, der eine “Funktion” hat. Aus dieser Position nimmt sich ein solcher Mensch mehr heraus, als er sich normalerweise dürfte. Die Begründung: dies sei notwendig, damit ein System funktioniert. Ich sehe ja ein, dass irgendwer sich in der arbeitsteiligen Gesellschaft ausschließlich darum kümmern soll, den Überblick zu bewahren, um die daraus resultierenden Erkenntnisse dem Team zur Verfügung zu stellen. Die meisten, die solche Positionen einnehmen, meinen aber, daraus für sich persönlich Vorteile lukrieren zu können. Damit gehen sie mir zu weit. Täusche ich mich, oder ist es tatsächlich so, das hauptsächlich Personen mit charakterlichen Schwierigkeiten in solche Positionen kommen? Wenn jemand sich vor mir aufbaut und mir Vorschriften machen will, dann muss er mich zuerst irgendwie davon überzeugen, dass er sich dieses Privileg wirklich durch besondere Kompetenz verdient hat. Und das hat genaugenommen bislang noch keiner gekonnt.
Das ist der Grund, warum ich in meinem Leben schon fünfzehn verschieden Jobs hatte und noch nirgends länger als drei Jahre geblieben bin. Früher oder später muss ich mich mit einem solchen Idioten anlegen. Natürlich ziehe ich dann immer den kürzeren und muss gehen. Aber das weiß ich ja schon vorher, da habe ich schon mit meinem Job abgeschlossen, sodass ich nichts mehr verlieren kann. Dann bin ich frei zu sagen, was ich mir denke. Zu sagen, was ich meine, das hat mir noch keiner dieser Idioten durchgehen lassen. Von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen, führt in der Regel in die Kündigung. Okay, ich nehme mir dann auch wirklich kein Blatt mehr vor den Mund, und bin alles andere als diplomatisch. Ich bin aber der Meinung, dass ich wegen einem Idioten nicht die Mühen der Diplomatie auf mich nehmen muss, dass ich ja zuvor schon diplomatisch genug gewesen bin, und es hat nichts eingebracht.
Ich habe auch Menschen beobachten können, die aufgestiegen sind, die zuerst auf der selben Ebene, wie ich waren, und plötzlich eine Funktion hatten, mir plötzlich Vorschriften machen durften. Sie wollten zwar weiterhin einen offenen Kontakt mit mir pflegen, aber dieser Offenheit war plötzlich eine Einbahn. Sie hatten Geheimnisse, wo ich keine haben durfte. Meine Zurückhaltung wurde Eifersucht, Neid oder mangelnde Offenheit genannt. Mit der Zeit merkte ich, dass sie mich aushorchten. Einmal wurde ich so unfreiwillig zum Verräter, weil ich ohne Argwohn etwas erzählte, dass dann zur Kündigung eines Kollegen führte. “In einer Entscheidungsposition muss man auch unangenehme Entscheidungen fällen und umsetzen können.”, wurde ich belehrt. Und tatsächlich fiel auch der mittlerweile sattsam bekannte Satz “ Ich tue ja nur meine Pflicht.” Diese kleinen Funktionäre ziehen sich immer noch gerne auf ihr Pflichtbewusstsein zurück, wenn es eigentlich gälte, Verantwortung zu übernehmen.
Gibt es eigentlich eine Macht, die nicht am Ende faschistoid wird? Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass man als Mensch in einer Machtposition noch seinen Charakter bilden kann. Bestenfalls hat man ihn vorher soweit entwickelt, dass er die Belastungen der Macht erträgt und sein Niveau hält. Aber wer nach Macht strebt - und ich denke, dass nur solche Leute an die Macht kommen - beschäftigt sich nicht mit Charakterfragen. Kommen die Verlockungen der Macht über einen, gehen ihr am ehesten charakterlich unterentwickelte Menschen auf den Leim. Für die Macht ist es auch wesentlich günstiger, wenn sich ihr Träger nicht mit moralischen Fragen aufhält. Sie kann das kleine Menschlein leichter für ihre Zwecke benutzen. Wer an der Macht ist und daneben moralische Fragen aufwirft, reibt sich zu sehr auf. Schließlich ist man umgeben von Geiferern, die den Mächtigen nur zu gerne beerben würden. Macht ist schmutzig. Wer sich in sie begibt, trägt diesen Schmutz, wie der Polizist seine Uniform.
Ich denke auch, dass nie ein Mensch "mächtig" ist, viel eher ist es umgekehrt: das System verleiht seine Macht an einen Träger. Und der trägt schwerer, als er glaubt. Zum Ausgleich lässt ihn die Macht einige seiner charakterlichen Unarten straflos ausleben. Dieses Zuckerl schmeckt nach der Freiheit, nach der sich alle sehnen, es hat allerdings einen hohen Preis. Nämlich die Persönlichkeit, von der sich die Macht nährt. Wie ein Vampir.
In diesem Sinne habe ich immer den "Herrn der Ringe" gelesen. Der Ring " ... sie alle zu knechten ..." ist das Große Symbol der Macht. Darum geht es letztendlich, egal wie freundlich der Mächtige tut. Alle wollen ihn. Wer ihn trägt, altert nicht, aber er verändert sich. Gollum ist sozusagen die Sichtbarmachung dieser Auswirkungen - das bleibt vom Mächtigen mal übrig, wenn man ihm die Macht wegnimmt. Durch das ganze Buch hindurch wirkt das Kleinod eine eigenartige Sogwirkung aus, der niemand widerstehen kann. Selbst die Königin der Elben verfiele ihr, käme er in ihren Besitz - oder besser: sie in seinen.
Interessant ist der Kontext, in den Tolkien den Ring stellt. Des Ringes Ursprung ist bereits ein finsterer. Dieser eine Ring bindet alle anderen Ringe. Das erinnert mich an die vielen Möglichkeiten zur Weltverbesserung, die sich dem Mächtigen bieten und auf viele Idealisten eine so große Anziehung ausübt.
Der eine letzte Ring steht für die reine Macht - und dieser eine knechtet die anderen, von denen jeder einzelne vielleicht für eine Tugend steht. Aber an der Macht wird alles zur Untugend. Interessant ist auch, dass schließlich keiner der strahlenden Helden zum Ringträger wird, sondern einer jener Gruppe der Hobbits, die sehr zärtlich, aber doch unverhohlen als kleine Spießbürger beschrieben werden.
Medientechnisch gesehen hat Tolkien hier gegen alle Regeln verstoßen: kein Intellektueller, kein Kämpfer, kein Magier, nicht mal ein besonders schöner Mensch oder wenigstens ein rebellischer Underdog - er bietet dem Leser keine Identifikationsfigur an. Oder wer ist schon gerne klein, mit großen haarigen Füßen, für den sich keine der vielen tollen Frauen aus der Umgebung interessiert, und der auch bis zum Ende keine abkriegt.
Die Macht liegt hier in Händen eines so einfachen und durchschnittlichen Wesens, das wir es zuerst mal gar nicht beneiden wollen. Wir beobachten auch lieber Aragorn oder Gandalf, den Weisen. So schauen Helden aus.
Im Laufe der Erzählung wird aber immer deutlicher, dass gar niemand sonst den Ring tragen könnte. Jeder andere fühlte sich sofort berufen, was damit für die Menschheit zu erreichen - im Guten, wie im Bösen. Dieser thumbe Hobbit hingegen genießt gerade mal die Tarnkappenwirkung, mehr will der gar nicht. Frodo hat keine Ahnung von der großen weiten Welt, von den vielen Möglichkeiten, die sich der Macht bieten. So kann die Macht gerade mal mit ihren kleinen Tricks Eindruck schinden. Denn am Ende ist die Macht wohl nur das, was man ihr zuschreibt. Und wer nichts zuzuschreiben weiß, der bleibt für die Macht und ihre Verführung unempfänglich.
Gandalf ist gewissermaßen die Gegenposition: er kennt den Ring besser als alle andern. Und deshalb greift er ihn nur mit der langen Zange an. Der größte der Weisen fürchtet diese Macht mehr als alles andere. Sauron hat gar keine Gestalt mehr und unterstreicht so einmal mehr die Anonymität der Macht. Die wuselnden Orks, die praktisch nur zum Tontaubenschießen für die Helden herumhängen, erhalten überhaupt keine Persönlichkeit mehr - für sie gibt es nur noch Gattungsbegriffe, der völlige Verlust jeglicher Individualität.
Für diesen Ring der Ringe gibt es keine Funktion, auch wenn viele das wollen. Erlösung gibt es nur in seiner Zerstörung. Diese Vernichtung kann nie von außen kommen, sondern muß dort geschehen, wo er hergestellt wurde. Vielleicht ist es mit dem, was die 68iger den "Lauf durch die Institutionen"nannten, vergleichbar - allerdings haben sie am Ende den Ring nicht zerstört, sondern sind der Macht verfallen. Heute sind sie die Regierenden, und sie sind nicht wesentlich verantwortungsvoller, als unsere Vorfahren. Das Glück der "späten Geburt" bewahrt sie - und uns - gerade mal vor dem Schlimmsten. Sie hätten den Ring zerstören müssen. Da sie es nicht taten, wird sich irgendwann wieder ein finsterer Sauron finden, und das Spiel beginnt von vorne.
Ich habe jedenfalls dem kleinen Faschischmus ins Auge geblickt, und ich rechne seither damit, dass er wieder so groß werden kann, wie er mal war, wenn seine Zeit wieder gekommen ist. Dagegen können die ganzen Antifas gar nichts ausrichten. Er wird sich von hinten anschleichen mit lächelndem Gesicht, vollmundigen Versprechungen und Mitgefühl für irgendwelche geschundenen Kreaturen, von denen es immer genügend geben wird.
Es gibt da noch einen Spezialfall: es ist der Mächtige, der schon so weit oben ist, dass er die Schmutzarbeit anderen überläßt. Da kann man schon mal einen kultivierten und feinsinnigen Philantropen finden. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Vielleicht ist er ein Strohmann für einen anderen Schurken. Oder er ist schlicht zu blöde, um zu kapieren, was er da alles unterschreibt. Ich halte es in den meisten Fällen für Täuschung, wobei sich die betreffenden gerne auch selber hinters Licht führen. Doch wer viel Macht hat, muss viele Feinde abwehren. Und er muss schon viele abgewehrt haben, um dort hin zu kommen, wo er sitzt.
In vielen Fällen besteht der Erhalt der Macht auch darin, einfach nichts zu tun, und die Ohnmächtigen gegeneinander anrennen zu lassen. Das funktioniert in ausgesprochen vielen Fällen. Während draußen der Bürgerkrieg tobt, genießt man im sicheren Bunker Mozarts Jupitersymphonie und schwärmt vom tief empfundenen Leid des genialen Künstlers, anstatt sich nur einen Deut um das wirkliche Leiden der Sterbenden in den Straßen zu scheren. Ein paar Überlebenden unter den Ohnmächtigen gibt man ein, zwei Sternchen für den Kragenspiegel. Damit hat man Gefolgsleute gewonnen, und gleich Kanonenfutter für den nächsten Angriff der nächsten Ohnmächtigen. Solche Leute gewinnt man mit dem Versprechen der Partizipation. Das sind die Pflichterfüller für die Schmutzarbeit.
Und dieses System - im obigen Beispiel wurde ein Kriegsszenario gewählt - funktioniert immer noch in den Ämtern, in den Fabriken, den Büros, den Geschäften. Selbst vor den NGOs macht es nicht halt – dort kann es sogar schlimmere Ausmaße annehmen, da in aufstrebenden Vereinen von Idealisten nur zu gerne organisatorische Gegenwelten inszeniert werden. Tradierte demokratische Strukturen werden dort schneller ausgehebelt, als in jenen Organsationen, welche schon historische Erfahrungen besitzen.
Was kann ich dieser Macht gegenüber stellen? Nur sehr wenig, wenn mein Ziel ist, die Welt zu verändern. Aber sehr viel, wenn ich es darum geht, mich selbst zu retten. Da genügt oft ein klares NEIN. Natürlich hat das Konsequenzen. In einer freien Gesellschaft sollte diese allerdings abgefedert werden können. Und das ist mir bisher auch tatsächlich immer gelungen. Okay, ich bin weder reich noch mächtig geworden. Ich trage nicht mal großes Charisma, konnte also auch nicht den Heldenstatus erreichen. Aber ich bin frei von Sachzwängen.
Freiheit. Das kriegt man vom Neinsagen.
Genau das und sonst nichts. Wer mehr will, wird weiter JA sagen und das leise NEIN in seinem Herzen überhören müssen.
Außerdem bildet es den Charakter.
Ich glaube ohnehin, dass die Persönlichkeit in der Einsamkeit und im Elend besser gedeiht, sofern es selbstgewählt wurde. Aber das ist schon wieder ein anders Thema
Worüber will ich heute schreiben? Vielleicht über die Macht.
Es geht um Menschen, die innerhalb einer Struktur anderen Leuten Vorschriften machen dürfen. Wenn etwa in meinem Freundeskreis jemand was zu mir sagt, kommentiere ich es, befolge ich es oder eben nicht, lache drüber u. s. w..
Nicht gegenüber einem Mächtigen, gegenüber einem, der eine “Funktion” hat. Aus dieser Position nimmt sich ein solcher Mensch mehr heraus, als er sich normalerweise dürfte. Die Begründung: dies sei notwendig, damit ein System funktioniert. Ich sehe ja ein, dass irgendwer sich in der arbeitsteiligen Gesellschaft ausschließlich darum kümmern soll, den Überblick zu bewahren, um die daraus resultierenden Erkenntnisse dem Team zur Verfügung zu stellen. Die meisten, die solche Positionen einnehmen, meinen aber, daraus für sich persönlich Vorteile lukrieren zu können. Damit gehen sie mir zu weit. Täusche ich mich, oder ist es tatsächlich so, das hauptsächlich Personen mit charakterlichen Schwierigkeiten in solche Positionen kommen? Wenn jemand sich vor mir aufbaut und mir Vorschriften machen will, dann muss er mich zuerst irgendwie davon überzeugen, dass er sich dieses Privileg wirklich durch besondere Kompetenz verdient hat. Und das hat genaugenommen bislang noch keiner gekonnt.
Das ist der Grund, warum ich in meinem Leben schon fünfzehn verschieden Jobs hatte und noch nirgends länger als drei Jahre geblieben bin. Früher oder später muss ich mich mit einem solchen Idioten anlegen. Natürlich ziehe ich dann immer den kürzeren und muss gehen. Aber das weiß ich ja schon vorher, da habe ich schon mit meinem Job abgeschlossen, sodass ich nichts mehr verlieren kann. Dann bin ich frei zu sagen, was ich mir denke. Zu sagen, was ich meine, das hat mir noch keiner dieser Idioten durchgehen lassen. Von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen, führt in der Regel in die Kündigung. Okay, ich nehme mir dann auch wirklich kein Blatt mehr vor den Mund, und bin alles andere als diplomatisch. Ich bin aber der Meinung, dass ich wegen einem Idioten nicht die Mühen der Diplomatie auf mich nehmen muss, dass ich ja zuvor schon diplomatisch genug gewesen bin, und es hat nichts eingebracht.
Ich habe auch Menschen beobachten können, die aufgestiegen sind, die zuerst auf der selben Ebene, wie ich waren, und plötzlich eine Funktion hatten, mir plötzlich Vorschriften machen durften. Sie wollten zwar weiterhin einen offenen Kontakt mit mir pflegen, aber dieser Offenheit war plötzlich eine Einbahn. Sie hatten Geheimnisse, wo ich keine haben durfte. Meine Zurückhaltung wurde Eifersucht, Neid oder mangelnde Offenheit genannt. Mit der Zeit merkte ich, dass sie mich aushorchten. Einmal wurde ich so unfreiwillig zum Verräter, weil ich ohne Argwohn etwas erzählte, dass dann zur Kündigung eines Kollegen führte. “In einer Entscheidungsposition muss man auch unangenehme Entscheidungen fällen und umsetzen können.”, wurde ich belehrt. Und tatsächlich fiel auch der mittlerweile sattsam bekannte Satz “ Ich tue ja nur meine Pflicht.” Diese kleinen Funktionäre ziehen sich immer noch gerne auf ihr Pflichtbewusstsein zurück, wenn es eigentlich gälte, Verantwortung zu übernehmen.
Gibt es eigentlich eine Macht, die nicht am Ende faschistoid wird? Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass man als Mensch in einer Machtposition noch seinen Charakter bilden kann. Bestenfalls hat man ihn vorher soweit entwickelt, dass er die Belastungen der Macht erträgt und sein Niveau hält. Aber wer nach Macht strebt - und ich denke, dass nur solche Leute an die Macht kommen - beschäftigt sich nicht mit Charakterfragen. Kommen die Verlockungen der Macht über einen, gehen ihr am ehesten charakterlich unterentwickelte Menschen auf den Leim. Für die Macht ist es auch wesentlich günstiger, wenn sich ihr Träger nicht mit moralischen Fragen aufhält. Sie kann das kleine Menschlein leichter für ihre Zwecke benutzen. Wer an der Macht ist und daneben moralische Fragen aufwirft, reibt sich zu sehr auf. Schließlich ist man umgeben von Geiferern, die den Mächtigen nur zu gerne beerben würden. Macht ist schmutzig. Wer sich in sie begibt, trägt diesen Schmutz, wie der Polizist seine Uniform.
Ich denke auch, dass nie ein Mensch "mächtig" ist, viel eher ist es umgekehrt: das System verleiht seine Macht an einen Träger. Und der trägt schwerer, als er glaubt. Zum Ausgleich lässt ihn die Macht einige seiner charakterlichen Unarten straflos ausleben. Dieses Zuckerl schmeckt nach der Freiheit, nach der sich alle sehnen, es hat allerdings einen hohen Preis. Nämlich die Persönlichkeit, von der sich die Macht nährt. Wie ein Vampir.
In diesem Sinne habe ich immer den "Herrn der Ringe" gelesen. Der Ring " ... sie alle zu knechten ..." ist das Große Symbol der Macht. Darum geht es letztendlich, egal wie freundlich der Mächtige tut. Alle wollen ihn. Wer ihn trägt, altert nicht, aber er verändert sich. Gollum ist sozusagen die Sichtbarmachung dieser Auswirkungen - das bleibt vom Mächtigen mal übrig, wenn man ihm die Macht wegnimmt. Durch das ganze Buch hindurch wirkt das Kleinod eine eigenartige Sogwirkung aus, der niemand widerstehen kann. Selbst die Königin der Elben verfiele ihr, käme er in ihren Besitz - oder besser: sie in seinen.
Interessant ist der Kontext, in den Tolkien den Ring stellt. Des Ringes Ursprung ist bereits ein finsterer. Dieser eine Ring bindet alle anderen Ringe. Das erinnert mich an die vielen Möglichkeiten zur Weltverbesserung, die sich dem Mächtigen bieten und auf viele Idealisten eine so große Anziehung ausübt.
Der eine letzte Ring steht für die reine Macht - und dieser eine knechtet die anderen, von denen jeder einzelne vielleicht für eine Tugend steht. Aber an der Macht wird alles zur Untugend. Interessant ist auch, dass schließlich keiner der strahlenden Helden zum Ringträger wird, sondern einer jener Gruppe der Hobbits, die sehr zärtlich, aber doch unverhohlen als kleine Spießbürger beschrieben werden.
Medientechnisch gesehen hat Tolkien hier gegen alle Regeln verstoßen: kein Intellektueller, kein Kämpfer, kein Magier, nicht mal ein besonders schöner Mensch oder wenigstens ein rebellischer Underdog - er bietet dem Leser keine Identifikationsfigur an. Oder wer ist schon gerne klein, mit großen haarigen Füßen, für den sich keine der vielen tollen Frauen aus der Umgebung interessiert, und der auch bis zum Ende keine abkriegt.
Die Macht liegt hier in Händen eines so einfachen und durchschnittlichen Wesens, das wir es zuerst mal gar nicht beneiden wollen. Wir beobachten auch lieber Aragorn oder Gandalf, den Weisen. So schauen Helden aus.
Im Laufe der Erzählung wird aber immer deutlicher, dass gar niemand sonst den Ring tragen könnte. Jeder andere fühlte sich sofort berufen, was damit für die Menschheit zu erreichen - im Guten, wie im Bösen. Dieser thumbe Hobbit hingegen genießt gerade mal die Tarnkappenwirkung, mehr will der gar nicht. Frodo hat keine Ahnung von der großen weiten Welt, von den vielen Möglichkeiten, die sich der Macht bieten. So kann die Macht gerade mal mit ihren kleinen Tricks Eindruck schinden. Denn am Ende ist die Macht wohl nur das, was man ihr zuschreibt. Und wer nichts zuzuschreiben weiß, der bleibt für die Macht und ihre Verführung unempfänglich.
Gandalf ist gewissermaßen die Gegenposition: er kennt den Ring besser als alle andern. Und deshalb greift er ihn nur mit der langen Zange an. Der größte der Weisen fürchtet diese Macht mehr als alles andere. Sauron hat gar keine Gestalt mehr und unterstreicht so einmal mehr die Anonymität der Macht. Die wuselnden Orks, die praktisch nur zum Tontaubenschießen für die Helden herumhängen, erhalten überhaupt keine Persönlichkeit mehr - für sie gibt es nur noch Gattungsbegriffe, der völlige Verlust jeglicher Individualität.
Für diesen Ring der Ringe gibt es keine Funktion, auch wenn viele das wollen. Erlösung gibt es nur in seiner Zerstörung. Diese Vernichtung kann nie von außen kommen, sondern muß dort geschehen, wo er hergestellt wurde. Vielleicht ist es mit dem, was die 68iger den "Lauf durch die Institutionen"nannten, vergleichbar - allerdings haben sie am Ende den Ring nicht zerstört, sondern sind der Macht verfallen. Heute sind sie die Regierenden, und sie sind nicht wesentlich verantwortungsvoller, als unsere Vorfahren. Das Glück der "späten Geburt" bewahrt sie - und uns - gerade mal vor dem Schlimmsten. Sie hätten den Ring zerstören müssen. Da sie es nicht taten, wird sich irgendwann wieder ein finsterer Sauron finden, und das Spiel beginnt von vorne.
Ich habe jedenfalls dem kleinen Faschischmus ins Auge geblickt, und ich rechne seither damit, dass er wieder so groß werden kann, wie er mal war, wenn seine Zeit wieder gekommen ist. Dagegen können die ganzen Antifas gar nichts ausrichten. Er wird sich von hinten anschleichen mit lächelndem Gesicht, vollmundigen Versprechungen und Mitgefühl für irgendwelche geschundenen Kreaturen, von denen es immer genügend geben wird.
Es gibt da noch einen Spezialfall: es ist der Mächtige, der schon so weit oben ist, dass er die Schmutzarbeit anderen überläßt. Da kann man schon mal einen kultivierten und feinsinnigen Philantropen finden. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Vielleicht ist er ein Strohmann für einen anderen Schurken. Oder er ist schlicht zu blöde, um zu kapieren, was er da alles unterschreibt. Ich halte es in den meisten Fällen für Täuschung, wobei sich die betreffenden gerne auch selber hinters Licht führen. Doch wer viel Macht hat, muss viele Feinde abwehren. Und er muss schon viele abgewehrt haben, um dort hin zu kommen, wo er sitzt.
In vielen Fällen besteht der Erhalt der Macht auch darin, einfach nichts zu tun, und die Ohnmächtigen gegeneinander anrennen zu lassen. Das funktioniert in ausgesprochen vielen Fällen. Während draußen der Bürgerkrieg tobt, genießt man im sicheren Bunker Mozarts Jupitersymphonie und schwärmt vom tief empfundenen Leid des genialen Künstlers, anstatt sich nur einen Deut um das wirkliche Leiden der Sterbenden in den Straßen zu scheren. Ein paar Überlebenden unter den Ohnmächtigen gibt man ein, zwei Sternchen für den Kragenspiegel. Damit hat man Gefolgsleute gewonnen, und gleich Kanonenfutter für den nächsten Angriff der nächsten Ohnmächtigen. Solche Leute gewinnt man mit dem Versprechen der Partizipation. Das sind die Pflichterfüller für die Schmutzarbeit.
Und dieses System - im obigen Beispiel wurde ein Kriegsszenario gewählt - funktioniert immer noch in den Ämtern, in den Fabriken, den Büros, den Geschäften. Selbst vor den NGOs macht es nicht halt – dort kann es sogar schlimmere Ausmaße annehmen, da in aufstrebenden Vereinen von Idealisten nur zu gerne organisatorische Gegenwelten inszeniert werden. Tradierte demokratische Strukturen werden dort schneller ausgehebelt, als in jenen Organsationen, welche schon historische Erfahrungen besitzen.
Was kann ich dieser Macht gegenüber stellen? Nur sehr wenig, wenn mein Ziel ist, die Welt zu verändern. Aber sehr viel, wenn ich es darum geht, mich selbst zu retten. Da genügt oft ein klares NEIN. Natürlich hat das Konsequenzen. In einer freien Gesellschaft sollte diese allerdings abgefedert werden können. Und das ist mir bisher auch tatsächlich immer gelungen. Okay, ich bin weder reich noch mächtig geworden. Ich trage nicht mal großes Charisma, konnte also auch nicht den Heldenstatus erreichen. Aber ich bin frei von Sachzwängen.
Freiheit. Das kriegt man vom Neinsagen.
Genau das und sonst nichts. Wer mehr will, wird weiter JA sagen und das leise NEIN in seinem Herzen überhören müssen.
Außerdem bildet es den Charakter.
Ich glaube ohnehin, dass die Persönlichkeit in der Einsamkeit und im Elend besser gedeiht, sofern es selbstgewählt wurde. Aber das ist schon wieder ein anders Thema
messingherz - 29. Okt, 03:17