Das Elend mit dem Wahlvolk

derstandard.at veröffentlichte eine Studie zur Wahlpräferenz österreichischer Wähler, die alleine in ihrer Aufzählung das ganze Elend offenbart:
  • "Die FPÖ hat anhaltend hohen Zuspruch, man will ihr parlamentarisches Gewicht geben, aber nicht Regierungsverantwortung."
  • SPÖ und ÖVP werden besonders deutlich in der Regierung gewünscht, [...]. Allerdings sind die Vorbehalte roter Wähler gegen die ÖVP und schwarzer Wähler gegen die SPÖ groß.
  • Auffallend ist, dass SPÖ-Wähler eher als ÖVP-Wähler eine blaue Regierungsbeteiligung gutheißen würden.
  • Die Grünwähler können sich neben der eigenen Partei gut eine rote - aber viel weniger gut eine schwarze - Regierungsbeteiligung vorstellen. Umgekehrt ist die Ablehnung noch deutlicher.

Was bedeutet diese wilde Sammelsurium an Ansprüchen, aufgestellt von jenem, von dem “aller Wille” ausgeht?

Die FPÖ wird ungeachtet ihrer politischen Verortung oder der produzierten Korruptionsskandele ihrer Führung weiterhin gerne gewählt - allerdings mit dem Unterton “bitte nicht in die Regierung”. Den FPÖ-Wählern dürfte nicht ganz klar sein, dass man dies letzteres ihren Wahlkreuzchen nicht gerade ansieht.
Über Rot und Schwarz wird viel gejammert, weil sie tatsächlich ein erbärmliches Bild in der Regierung abgeben. Dennoch wollen die Österreicher sie genau in dieser Regierung haben - wohl, damit weiter über sie geraunzt werden kann.
Die Grünen legen sich wieder einmal links von der Mitte fest und damit das Angebot an zukünftige Koalitionsverhandlungen ziemlich niedrig. Ohne Konkurrenzangebot wird es schwierig, glaubhaft zu pokern.
Die Schwarzen lehnen die Grünen noch viel stärker ab, als umgekehrt, was deutlich macht, wie wenig die ÖVP noch eine Partei der Mitte, also eine klassische Volkspartei ist, sondern die Verwahrerin konservativer Werte; aber nur wenn es politisch rechte sind.

Interessant der Aspekt, dass die rote Wählerschaft eher zu den Blauen tendiert, als die schwarze. Das divergiert deutlich mit der oberflächlichen Wahrnehmung des Parteienspektrums. Offenbar ist die FPÖ schon viel stärker eine Arbeiterpartei, als vielen bewußt ist. Die unterirdische Verbindung zwischen Sozialismus und seiner nationalen Namensschwester wird tatsächlich viel zu wenig wahrgenommen, und könnte uns bei den nächsen Wahlen noch alle überraschen. Nicht vergessen hat der Schreiber dieser Zeilen die Haltung Franz Löschnaks im Innenministerium, welche im Lob vom freiheitlichen Oberkacker Jörg Haider eingebracht hat.

Das Fazit dieser hochgerechneten Präferenz einer Stichprobe von 432 österreichischer Wähler ergibt ein ziemlich exaktes Bild des derzeitigen Zustandes unserer Bundesregierung. Die FPÖ gewinnt überall hinzu - und zwar am meisten dann, wenn H.C. Strache es schafft, den Mund zu halten; was ihm glücklicherweise recht schwer fällt. Rot und Schwarz müssen zusammenarbeiten, obschon sich das Personal mittlerweile gegenseitig nicht mehr ausstehen kann. Bundeskanzler Faymann ist in der Ablehnung der FPÖ deutlich leiser als seine Vorgänger. Die Grünen versinken in Bedeutungslosigkeit, da sie mit ihrem Mandatsanteil niemandem zur Mehrheit verhelfen können. Sinnigerweise gibt es auch keine Verstrickung grüner Politiker in die derzeit aufpoppenden Politskandale, womit die Grünen eindeutig zur “Miss Opposition” gekürt werden - nie war eine Opposition schöner als sie! Mit dieser Schönheit wird sie auch untergehen, da sie keinerlei Versuch unternehmen, ihren Mandatsanteil auch nur annähernd zu erhöhen, sondern sich viel mehr in der Rolle des politisch korrekten Dagegenseins gefällt; die Grünen Abgeordneten haben auch den höchsten Altersdurchschnitt unter den fünf Parlamentsparteien.
Das BZÖ ist mit Jörg Haider zusammen unter die Räder gekommen; die verbliebenen Abgeordneten versuchen mittels Durchhaltevermögen ihren zukünftigen Pensionsanspruch etwas aufzumöbeln.

Das alles ist nicht zufällig so, etwa weil die Wähler nichts zu reden hätten. Sie stimmen schon seit Jahrzehnten immer wieder über die Zusammensetzung dieser Bundesregierung ab. Ihr Abstimmungsverhalten hat zu der derzeitigen Situation geführt. Diese kleine Umfrage ist eine Bestätigung dafür, dass der “Stimmbürger” es mit all seinen Paradoxien auch genau so gewollt hat.
Diese Gesellschaft ist zerrissen, kann diese Zerrissenheit allerdings nicht artikulieren, sondern delegiert (auch die vielgescholtene repräsentative Demokratie ist kein Zufall) den Konflikt an die Eliten. Dort ist seit einigen Jahrzehnten ein massiver Kompetenzverfall im Gange, dessen Auswirkungen wir erst in einigen Jahren so richtig erleben werden - solange dauern politische Maßnahmen, bis sie spürbar werden; solange dauern dann allerdings auch die Korrekturen.
Zuviele Politiker haben sich bereits an diesem Paradoxon, das ihnen die Wähler aufbürden abgearbeitet. Ein halbwegs intelligenter Mensch tut sich das nicht mehr an. Es gibt aber noch Dummköpfe sonder Zahl, die sich gerne als Retter des Gemeinwesens ereifern.

Und es gibt jene, die ganz eine andere, denn eine politische Agenda verfolgen; siehe die derzeit laufenden Korruptionsverfahren. Denen war Politik und Österreich immer schon egal, weswegen ihnen der ganze patriotische Schmunzes auch am leichtesten über die dünnen Lippen kam. Die haben den Wählern ohne auch nur einem Anflug von Gesichtsröte genau den Schwachsinn erzählt, den diese hören wollten. Und diese waren derart ressentimentgeladen, dass ihnen der Schwachsinn gar nicht mehr auffiel.

Wir haben die Politiker, die wir verdienen.

Da das offenbar niemand merkt, wird das Trauerspiel auch noch lange so weitergehen.

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