Die Fehler - für Robert Green

An solchen Veranstaltungen, wie der Fußballweltmeisterschaft, liebe ich den Ausnahmezustand, der fallweise entstehen kann.
Freitags haben wir auf Initiative unseres Chefs die Hotline auf das Mobiltelefon umgeleitet und sind geschlossen in ein nahegelegenes Café gegangen, um das Eröffnungspiel anzuschauen.
Ich erinnere mich an eine Notiz in einer Tageszeitung während der letzten WM in Deutschland. In Bangladesh sollten die Studenten demonstriert haben, damit die Prüfungen ausgesetzt werden, weil sie keine Zeit zum lernen hätten. Wegen der Zeitverschiebung mußten sie nämlich zu nachtschlafender Zeit fernsehen, um die Spiele live zu sehen. Ich weiß nicht, ob die Studenten damit durchkamen, aber dass sie es versuchten und sich offensichtlich moralisch im Recht empfanden, macht mir Fußball sympathisch.
Das Diensthandy blieb bei mir, weil ich weder großer Fußballfan bin, noch nachmittags trinke. Tatsächlich gab es einen abteilungsleitenden Spielverderber, der als einziger in seinem stickigen Büro saß und sofort ein E-Mail-Problem gelöst haben wollte, dessen Feinheiten zu erklären zwei DIN A4-Seiten in Anspruch nähme. Also eine nicht weiter erwähnenswerte Spitzfindigkeit, die auch bis Montag Zeit gehabt hätte.

Gestern war ich publicly viewing und habe den unkomplizierten Umgang der Fußballfanatics untereinander genossen. Man kommt sofort und ohne Umschweife ins Gespräch mit jedermann.
Nicht mit Frauen. Die sind zwar mittlerweile zahlreicher denn je, aber dieser besondere Diskurs scheint doch eher testosteronbedingt zu sein. Vielleicht zuviele Kraftausdrücke. Mädels steht das nicht.
Dabei verlang niemand ballesterisches Knowhow. Es siegt der coole Spruch, ganz egal, ob er inhaltlich stimmig ist, oder nicht. Sofort entsteht eine augenzwinkernde Kumpanei, die bis zum Ende eines Spieles plus ein Folgebier anhält. Dann zerfällt sie wieder und man nimmt ein gutes und leicht beschwipstes Gefühl mit nach Hause.

Als dem englischen Goalie allerdings der Jabulani unter dem Körper durch ins Tor rollte, mußte ich mich einen Moment abkoppeln. Die Herzen der Zuseher gehörten eindeutig den Briten - schon deswegen unterstützte ich die Yanks (die mag sonst eh keiner). Ein gequälter Schrei ging also durch die Menge. Just in diesem Moment fand ich mich unvermittelt an der Stelle des unglücklichen Schlußmannes. Ich spürte die Augen der Welt auf mir. Einige Zehntausend im Stadion, Millionen an den Bildschirmen. Ich wußte, dass er in diesem Moment am liebsten unter den Rasen gekrochen wäre. Lieber wird man von der Mama beim Masturbieren erwischt oder hat eine Schlange im Hosenbein - um mal zwei männliche Urängste zu zitieren. In Scham und Schande war wohl niemand auf der Welt in diesem Augenblick einsamer, als Robert Green.

Auch in solchen Momenten kann man sehr einsam sein, etwa weil man aus Scham niemandem erzählt, oder weil man nun Ursache für alle irreversiblen Unannehmlichkeiten ist.
Da redete niemand mehr von all den Fehlleistungen der britischen Stürmer, die konsequent den Keeper trafen anstelle der unerreichbaren Torwinkel. Oder von den Verteidigern, denen immer wieder Fehlpässe unterliefen oder dass sie den Ball fallweise einfach nicht unter Kontrolle brachten.
Man wird, wenn es die Briten diesmal wieder nicht schaffen ein passables Ergebnis abzuliefern, immer von Robert Green sprechen, der erneut den schon längst fälligen Erfolg der Inselkicker verhindert hat. Selbst, wenn sie doch noch aufsteigen, werden sie es "trotzdem" geschafft haben. Nur mit einem entscheidenden gehaltenen Elfer in einem etwaigen Finalspiel könnte er diese Scharte ausmerzen und der Geschichte von den verhängnisvollen Fehlleistungen britischer Torleute noch eine Wendung geben.

Mit verständnislosem Blick schüttelten sie den Kopf samt dranhängendem Doppelkinn, verschränkten ihre Hände über Schmerbäuchen und kommentierten fachmännisch, weshalb sie diesen Robert Green nie aufgestellt hätten, weil er doch damals schon ... einfach eklig!
Ausgerechnet jene, welche es in ihrem Leben nirgendwohin gebracht haben und die nie ohne stehenzubleiben von einer Grundlinie zur anderen laufen könnten, finden Gefallen daran immer und immer wieder jene verächtlich zu machen, denen kleine Fehler unterlaufen, welche im Endeffekt leider auch mal gröberen Schaden ausrichten können. Obschon die Fehlleistung immer gleich gering ist.

Ich hänge ja der Meinung an, dass Fehler rein statistische Erscheinungen sind. Man kann die Quote durchaus berechnen, nur wen es trifft, dass weiß man im Vorhinein nie.

Ich trinke also - es ist schon abend - einen Schluck auf Robert Green. Leider kann ich mich nicht an seine Stelle setzen. Aber ich trinke auf ihn und alle Verlierern dieser Welt, besonders auf jene, die an ihrer Niederlage auch noch selber schuld sind.
Das Bier der Verlierer schmeckt entschieden besser, als die pickig-süßen Energydrinks derer, die sich in Form halten müssen, weil sie sich panisch vor Niederlagen fürchten.

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